Merza Hussein sass in der Falle. Die Taliban hatten ihn entdeckt, als er an ihrem Kontrollposten vorbeischleichen wollte. «Sie sassen dort drüben unter diesem Baum. Ich dachte, wenn ich hier entlang krieche, sehen sie mich nicht. Aber sie haben mich gesehen. Ich hatte keine Chance zu fliehen.»
Wir stehen an einer staubigen Strasse am Ausgang der kleinen Ortschaft Bamiyan. Merza Hussein wollte damals im Frühjahr 2001 etwas für seine Familie besorgen. Es wurde sein Verhängnis.
Weltkulturerbe im Visier der Taliban
«Die Taliban haben mich zu dem grossen Baum dort drüben geführt und so stark geschlagen, bis ich nicht mehr gehen konnte. Dann haben sie mich auf einen Pick-up geworfen und sind mit mir davongefahren», erzählt er.
Die Taliban brachten Merza Hussein zunächst in ein Haus, in dem schon andere Gefangene sassen. Nach ein paar Tagen wurden sie an Händen und Füssen gefesselt zu den beiden grossen Buddhas von Bamiyan gebracht – damals die grössten stehenden Buddha-Statuen der Welt. Ein Weltkulturerbe, das die Taliban zerstören wollten.
Wer nicht mitmacht, wird getötet
Etwa 120 Männer hatten die Taliban auf dem grossen Platz vor den Statuen zusammengetrieben. «Sie haben ganze Kleinlaster voller Sprengstoff hierhergebracht.» Die Pakete hätten ausgesehen wir grosse Packen Seife. «Wir mussten sie genau so bis zu den Buddhas tragen.» Merza Hussein ahmt watschelnd den Gang der angeketteten Gefangenen nach.
Einer hat sich geweigert. Er stand neben mir. Die Taliban haben ihn mit Kugeln durchsiebt.
«Wir haben schnell realisiert, dass sie die Buddhas sprengen wollten. In uns wuchs die Angst, dass wir unter den Trümmern und dem Geröll ebenfalls begraben werden sollten.»
Widerstand wurde sofort bestraft: «Einer hat sich geweigert. Er stand neben mir. Die Taliban haben ihn mit Kugeln durchsiebt. Ich musste seinen Leichnam auf die Schulter nehmen und zu den Löchern dort hinten werfen. Danach hat sich keiner mehr geweigert.»
Ein Zeichen für die ganze Welt
Davor hatten die Taliban tagelang versucht, die Buddha-Statuen mit Panzer- und Artilleriebeschuss zu zerstören. Erfolglos. Deshalb beschlossen sie, diese mit Sprengstoff in die Luft zu jagen. Zentnerweise mussten Merza Hussein und seine Mitgefangenen den Sprengstoff unter den Füssen des Buddha stapeln. Dann brachten ihn die Taliban zur Explosion.
Die Taliban waren stolz darauf, dass sie weltweit ein Symbol werden mit ihrer Tat.
Und wieder widerstand der Buddha: «Bei der Explosion sind nur die Füsse des Buddha zerstört worden.» Ein paar Tage später hätten die Taliban Bohrmaschinen gebracht. «Dann haben sie uns von oben abgeseilt, manche von uns standen auf dem Kopf des Buddha, andere auf der Schulter, und wir mussten mit den Bohrern Löcher in den Kopf und die Schultern des Buddha bohren, und dann dort Sprengstoff platzieren.»
Erst so gelang es den Taliban, den Grossen Buddha von Bamiyan zu zerstören. «Die waren stolz darauf, dass sie weltweit ein Symbol werden mit ihrer Tat. Sie haben das getan, um weltweit so wahrgenommen zu werden wie Abraham, der damals die Götzen zerstört hat.»
Die Verbrechen nicht vergessen
Heute besitzt Merza Hussein eine kleine Werkstatt, in der er Fahrräder repariert. An die Zerstörung der Buddha-Statuen denkt er immer noch jeden Tag. Und die drohende Rückkehr der Taliban an die Macht bereitet ihm Angst.
«Ich will weg von hier. Ich habe sechs Kinder. Selbst wenn ich wie euch jetzt ein Interview gebe, kann es sein, dass ich danach bedroht werde. Aber ich bin verpflichtet, zu erzählen was geschehen ist. Denn ich spüre den Schmerz, und ich will das sagen. Auch wenn sie mich töten, ich werde nicht schweigen, ich werde weitererzählen.»
Eine der Statuen soll zerstört bleiben. Damit die nächste Generation das sieht und die Verbrechen der Taliban nicht vergessen gehen.
Die eine der beiden Buddha-Statuen, so Merza Hussein, solle zerstört bleiben, wie sie ist: «Damit die nächste Generation das sieht und die Verbrechen der Taliban nicht vergessen gehen.»