Zum Inhalt springen

Russische Verfassungsänderung Putin macht aus Bürgern Statisten

Vorschläge von Wladimir Putin haben im russischen Unterhaus grundsätzlich einen guten Stand. Was sich nun jedoch in der Duma abspielte, scheint eines Parlaments, welches den Namen verdient hätte, unwürdig. Keine einzige Nein-Stimme unter den 432 anwesenden Abgeordneten gab es nach der ersten Lesung der von Wladimir Putin vorgeschlagenen Verfassungsänderungen.

Selbst das Wort «Lesung» scheint in diesem Zusammenhang wenig treffend, angesichts der Tatsache, dass niemand in Russland ausserhalb des engsten Machtzirkels von Wladimir Putin zu wissen scheint, welchem Zweck die Umstrukturierung der Machtverhältnisse auf dem Papier dienen soll.

Stellvertreter des Präsidenten

Unter diesen Umständen scheint es verantwortungslos, dass die Parlamentarier in einem ersten Schritt den Verfassungsänderungen zustimmten, denn zum jetzigen Zeitpunkt sind noch viele zentrale Fragen völlig offen. Der Präsident persönlich hatte vergangene Woche angekündigt, dass die Bürger ihre Stimme zum gesamten Paket der Verfassungsänderungen abgeben dürften.

Doch Putin blieb in seiner Rede dermassen wage, dass man aus seinen Aussagen keine konkreten Schlüsse ziehen kann, ausser dass über die Verfassungsänderungen kein Referendum durchgeführt wird. Damit hat die Duma in einem ersten Schritt einer Vorlage zugestimmt, ohne zu wissen, ob die Bevölkerung zur Vorlage unverbindlich befragt werden wird – und wenn ja in welcher Form.

Fragwürdiges Resultat

In Russland scheinen sich die Parlamentarier nicht gegenüber Bürgern verantwortlich zu fühlen, sondern einzig und allein gegenüber Putin und seiner Administration. Sinnbildlich dafür brach nach Bekanntgabe des Abstimmungsresultats von 96 Prozent Ja-Stimmen eine Standing Ovation unter den Parlamentariern aus.

Mit der Lesung mag noch nicht das letzte Wort in der Duma zu den Änderungen gefallen sein, doch die vergangenen Tage haben jede Hoffnung ausgeräumt, dass es in Russland tatsächlich noch so etwas wie eine Gewaltenteilung geben könnte. Längst wäre es treffender in Russland von einer Aufgabenteilung zu sprechen, deren Einflussmöglichkeiten direkt oder indirekt durch den Präsidenten bestimmt werden.

Abgekartetes Spiel

Die Bürger werden in dieser Inszenierung einer Demokratie zu Statisten degradiert, die dem Tempo in welchem der russische Präsident die Verfassungsänderung durchpeitschte, unter keinen Umständen folgen können. Dabei sind ihnen auch die Einschätzungen von Politologen und Juristen keine grosse Hilfe.

Diesen blieb nichts anderes übrig, als möglichst viele Möglichkeiten zu diskutieren, welche Ziele mutmasslich hinter den einzelnen Verfassungsänderungen stehen könnten. Diese Mühe scheint jedoch vergebens, denn Putin in der Rolle des Regisseurs und seine engsten Assistenten lassen niemanden einen Blick auf das Skript werfen. Wohl wissend, dass im Moment des Auftritts längst allen klar ist, welche Rolle ihnen zuteilwird.

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

Meistgelesene Artikel