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Russischer Oppositioneller Alexej Nawalny: «Es war nicht schmerzhaft – es war schlimmer»

Es passt zu Alexej Nawalny, dass er sein erstes Interview vor einer Kamera nach der Vergiftung gegenüber Juri Dud gab. Dud führt einen der erfolgreichsten Youtube-Kanäle Russlands und erreicht vor allem junge Menschen. Im Einverständnis mit dem Autor publizieren wir einen kleinen Auszug aus dem Gespräch mit Nawalny.

Alexej Nawalny

Russischer Oppositionspolitiker

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Alexej Nawalny ist einer der bekannteste russischen Oppositionspolitiker. Am 20. August 2020 wurde Nawalny in der sibirischen Stadt Tomsk Opfer eines Giftanschlags. Nawalny wurde darauf in ein künstliches Koma versetzt und in die Berliner Charité verlegt. Ende September konnte er das Krankenhaus verlassen.

Juri Dud: Alexej, wie geht es Dir?

Alexej Nawalny: Meine Hände zittern. Würde ich Wasser aus der Flasche trinken, wäre es eine kleine Attraktion dies mitanzusehen. Aber mir geht es von Tag zu Tag besser. Ich gehe zu einem Physiotherapeuten. Ich muss viele Rechts-Links-Übungen für mein Gehirn machen. Der Kampfstoff Nowitschok greift das Nervensystem an.

Wie bist Du mit dem Gift in Kontakt gekommen?

Niemand weiss es. Wir wissen, dass die Vergiftung bereits im Hotel geschah. Den Kampfstoff gibt es in flüssiger Form, aber er kann einen auch durch Berührung mit der Haut vergiften. Wenn ich den Kampfstoff getrunken, gegessen oder eingeatmet hätte, dann hätte ich innerhalb von maximal einer Stunde den Löffel abgegeben.

Erzähl wie dann alles ablief?

Zu meinem Erstaunen wandte ich mich im Flugzeug an den Steward und sagte: «Ich wurde vergiftet, ich sterbe jetzt», und legte mich ihm vor die Füsse. Offensichtlich habe ich geschrien und hatte Halluzinationen. Es war nicht schmerzhaft – es war schlimmer. Dieses Gefühl von «das war's».

Wie oft geht Dir durch den Kopf, es könnte jemand von Deinen Mitarbeitern etwas damit zu tun haben?

Gar nie. Du kannst mit Nowitschok nicht zu irgendeinem Typen hingehen und sagen: «Hier hast Du ein Fläschchen – kümmere Dich drum!» Wahrscheinlich würde sich jemand ohne Spezialausbildung selbst vergiften und damit töten. Dies ist ein indirekter Beweis dafür, dass es sich um einen Befehl des Kremls gehandelt hat.

Was ist Deine Version: Wer hat es getan?

Meine Version ist, dass es von Mitarbeitern von einem der Geheimdienste auf Anweisung von Putin gemacht wurde. Wir haben natürlich kein Video, in dem Putin mit den Füssen stampft und schreit: «Tötet ihn!» Doch die Anweisung einen solchen Cocktail einzusetzen, kann nur von Putin erteilt werden.

Mist, Alexej. Was hast Du Putin konkret angetan?

Das Ganze war nicht so ungeschickt, sondern eigentlich klug durchdacht. Es musste ein Zeitfenster ausgewählt werden, in dem ich mehrere Stunden ohne medizinische Hilfe im Flugzeug war. Es ist nur glücklichen Umständen zu verdanken, dass es anders gekommen ist.

Was muss passieren, damit Du nicht nach Russland zurückkehrst?

Diese Möglichkeit schliesse ich aus.

Angela Merkel kam Dich besuchen.

Die Tür geht auf, der Professor, der mich behandelt, kommt rein und sagt: «Ich habe einen Gast für Sie.» Ich wusste von nichts.

Du wusstest von nichts? Im Ernst?

Merkel kam rein und mein erster Gedanke war: «Du bist doch im Krankenhaus, bist Du gescheit angezogen?» Wie gut, dass ich überhaupt angezogen war. Es war kein politisches Gespräch. Ich war verblüfft, wie gut Merkel über Einzelheiten in Russland Bescheid weiss.

Du kamst zum Interview mit Personenschutz.

Ja. Als ich halb bei Bewusstsein war, kamen höfliche Leute zu mir und sagten: «Guten Tag, wir sind die Führung der Polizei Berlins. Man versuchte Sie auf gefährliche Weise umzubringen.» Sie waren sehr diplomatisch. Sie sagten nicht: «Ihr Russen lauft herum und vergiftet einander mit chemischen Waffen, wir wollen keinen Einsatz chemischer Waffen in Deutschland.» Sie schützen weniger mich, eher die Leute um mich herum. Es ist leichter, mir Personenschutz zu stellen, als zum Reagieren gezwungen zu sein, wenn etwas passiert.

Tagesschau, 8.10.20, 12:45 Uhr ; 

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