Zum Inhalt springen

Sanktionsverfahren der EU «Polens Ruf ist schon ruiniert»

Die Regierung in Warschau habe wegen des Eingreifens der EU-Kommission keine Konsequenzen zu befürchten – zumindest keine wirtschaftlichen, sagt Journalist Jan Opielka.

Jan Opielka

Box aufklappen Box zuklappen
Jan Opielka

Der freie Journalist Jan Opielka arbeitet für verschiedene polnische und deutschsprachige Medien, unter anderem für die «Frankfurter Rundschau», die «Jüdische Allgemeine» und «Die Zeit».

SRF News: Polen hat bereits erwartet, dass die EU-Kommission ein Sanktionsverfahren einleiten wird. Wie kommentieren die Medien dies nun?

Jan Opielka: Naturgemäss unterschiedlich. Die regierungsnahen Medien kritisieren die Entscheidung der EU-Kommission und verweisen darauf, dass dieses Verfahren eigentlich nur zustande kam, weil die polnische Opposition, also die Partei der Vorgängerregierung, dieses Anliegen an die EU-Kommission getragen habe und es deshalb dazu kam. Es überwiegen aber die kritischen Stimmen der liberalen Medien, die sagen, dass das Verfahren eine logische Konsequenz der Sturheit der Regierung in Warschau und der tatsächlichen Verfassungswidrigkeit der von der EU beanstandeten Gesetze sei.

Seit zwei Jahren warnt die EU-Kommission Polens Regierung davor, ihre Justizreform umzusetzen. Wie kommt die Einmischung aus Brüssel bei den Gegnern der Justizreform an?

Die Einmischung Brüssels kommt bei den Gegnern generell gut an. Denn Oppositionspolitiker und Bürger, die dagegen sind, sehen, dass im Land selbst nicht mehr viel gegen diese Regierung, beziehungsweise gegen diese Reform auszurichten ist. Es gab bereits im Sommer Proteste gegen die erste Fassung der Gesetze, die nun verabschiedet wurde. Sie wurde zwar etwas entschärft. Aber diese Proteste sind dennoch ins Leere gelaufen. Denn die Justizreform wurde nun tatsächlich beschlossen, und der Präsident hat sie unterzeichnet.

Die Frage ist, ob sich Polen tatsächlich auf ein Land verlassen kann, das sagt, es werde gegen den Sanktionsbeschluss stimmen.

Polen könnte das Stimmrecht verlieren. Gilt das als realistisches Szenario?

Nein, noch nicht. Denn Ungarn hat angekündigt, dass es den Sanktionsbeschluss – und damit den Stimmrechtsentzug – nicht mittragen werde. Allerdings ist es auch eine Frage, ob sich Polen tatsächlich auf ein einziges Land verlassen kann, das sagt, es werde dagegen stimmen. Denn Viktor Orban hat schon mehrfach gezeigt, dass er sehr flexibel ist in seinen Handlungen. Insofern geht die Regierung selbst davon aus, dass es zu keinem Stimmrechtsentzug kommt. Die Opposition bringt den Entzug aber durchaus als realistisches Szenario ins Spiel.

Könnte Polens Ruf und Wirtschaft durch das Verfahren geschädigt werden?

Auf die Wirtschaft wird das keinen massgeblichen Einfluss haben. Die wirtschaftliche Entwicklung in Polen ist derzeit gut. Sie hat in den letzten zwei Jahren unter dieser Regierung nicht gelitten. Auch dass ausländische Investoren sich jetzt massiv zurückziehen, ist nicht absehbar. Ich würde also nicht davon ausgehen, dass die Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird. Was allerdings passieren kann: Dass Polen in der nächsten Finanzierungsperiode ab 2020 damit rechnen muss, dass es nicht mehr so viele Mittel aus den EU-Töpfen kriegt. Das könnte sich zumindest indirekt auf die Wirtschaft niederschlagen. Was den Ruf angeht: Der ist natürlich schon ruiniert. Zumindest in westlichen Demokratien.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

Meistgelesene Artikel