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Schwedens Corona-Sonderweg «Eher unwahrscheinlich, dass es noch zu einem Lockdown kommt»

Der schwedische Virologe Anders Tegnell hat international für Aufsehen gesorgt, weil er der Regierung riet, auf die Schliessung der Schulen zu verzichten und stattdessen an die Vernunft der Bürger zu appellieren. Sie sollten die Hygienemassnahmen beachten und möglichst Abstand halten – freiwillig. So richtig geklappt hat es offenbar nicht, denn das Virus hat sich auch in Schweden ausgebreitet, und die Todesfälle sind angestiegen, wie SRF-Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann sagt.

Bruno Kaufmann

Nordeuropa-Korrespondent

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Bruno Kaufmann berichtet seit 1990 regelmässig für SRF über den Norden Europas, von Grönland bis Litauen. Zudem wirkt er als globaler Demokratie-Korrespondent beim internationalen Dienst der SRG mit.

SRF News: Wie ist die Corona-bedingte Lage zurzeit in Schweden?

Bruno Kaufmann: Sie ist teilweise im Pflege- und Altersheim-Bereich in Stockholm sehr angespannt und kritisch. Ein grosser Teil der Corona-Todesfälle im April haben sich dort ereignet. Viele waren Menschen über 80 mit Vorerkrankungen.

Was sagt Chefvirologe Tegnell dazu?

Seinen anfänglichen Optimismus hat er ein bisschen verloren. Er glaubte zu Beginn, dass die Infektionsquelle rasch ausgemerzt sei und auch die Zahl der Toten sehr schnell wieder abflachen werde.

Schweden hat gute Voraussetzungen für den Weg der Freiwilligkeit, weil eine Mehrheit der Haushalte Einzelhaushalte sind.

Doch jüngst zeigte er sich angesichts der neuen Zahlen auch selbstkritisch und ist sich nicht mehr ganz sicher, ob Schweden wirklich den richtigen Weg durch diese Pandemie geht.

Gab es in Schweden keine Stimmen, die die Situation anders einschätzten als er?

Doch, es gab viele solche Stimmen, auch weil ja die Nachbarländer Dänemark, Norwegen und Finnland die Lockdown-Strategie gefahren sind. Kritisiert wird jetzt aber vor allem die Infrastruktur oder die Bereitschaft im Gesundheitswesen. Diese Krise hat die Schwächen des Gesundheitswesens tatsächlich deutlich aufgezeigt.

Schweden hat von Anfang an an die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger appelliert. Nimmt die Bevölkerung diese Aufrufe ernst genug?

Meine Einschätzung ist, dass die Bevölkerung die Pandemie sehr ernst nimmt. Ob ernst genug, ist eine andere Frage. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass gut 98 Prozent der Schwedinnen und Schweden ihr Verhalten in den letzten Wochen verändert haben.

Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven hat fast an jeder Pressekonferenz damit gedroht, dass er einen Lockdown nicht explizit ausschliesst.

Schweden hat gute Voraussetzungen für den Weg der Freiwilligkeit, weil eine Mehrheit der Haushalte Einzelhaushalte sind. Es gibt viel Platz, und der Grad der Digitalisierung ist hoch. Deshalb hat es relativ gut funktioniert.

Wird in Schweden kein Lockdown mehr verhängt?

Ministerpräsident Stefan Löfven hat fast an jeder Pressekonferenz damit gedroht, dass er einen Lockdown nicht explizit ausschliesst, und er hat auch die Kompetenzen dafür bekommen. Ich halte es eher für unwahrscheinlich, dass es in Schweden noch zu einem Lockdown kommt, vor allem, weil man damit rechnet, dass diese Pandemie noch Monate, wenn nicht Jahre dauert. Da muss man einen Weg finden, um sie durchzustehen.

Das Gespräch führte Danièle Hubacher.

Info 3, 01.05.2020, 12 Uhr ; 

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