Eigentlich sind die G7-Staaten Verbündete. Doch diesmal ist auf ihrem Gipfeltreffen vieles anders. Kanada hat sich viel vorgenommen als Gastgeberland des diesjährigen G7-Gipfels.
Ausgerechnet das bevölkerungsmässig und wirtschaftlich kleinste Mitgliedland des Klubs der Mächtigen möchte ein paar Akzente setzen. Doch ob die Staats- und Regierungschefs aus den USA, Kanada, Grossbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und Japan tatsächlich über die Prioritäten von Premierminister Justin Trudeau diskutieren werden, ist mehr als ungewiss. Möglicherweise werden statt neuer Ziele alte Streitereien den Gipfel von A bis Z dominieren.
G7-Gipfel – die Teilnehmer
Das sind die grössten Konfliktfelder
Das Atomabkommen mit dem Iran: US-Präsident Donald Trump will das mühselig ausgehandelte Atomabkommen verlassen. Die drei europäischen G7-Mitgliedstaaten, die daran beteiligt sind (Deutschland, Frankreich und Grossbritannien), wollen am Abkommen festhalten. Es ist aus ihrer Sicht zwar nicht perfekt, aber besser als nichts.
Vor allem besser, als wenn der Iran sein Atombombenprogramm wieder hochfährt. Die USA machen nun Druck auf europäische Industriefirmen und Banken, damit sich diese trotzdem den US-Sanktionen gegen Teheran anschliessen. Eine Annäherung auf diesem Feld auf dem G7-Gipfel scheint chancenlos.
Das UNO-Klimaabkommen: Auch diesem will Trump den Rücken kehren. Die Europäer halten es aber für dringend notwendig. Auch Japan tut das. Und seit in Ottawa nicht mehr der Konservative Stephen Harper regiert, sondern der Liberale Justin Trudeau ist auch Kanada mit an Bord. Die G7 haben seinerzeit massgeblich dazu beigetragen, dass innerhalb der UNO ein Klimaabkommen zustande kam – und hier eine Führungsrolle übernommen. Inzwischen sind sie als Gruppe in der Klimafrage wegen Trump gelähmt.
Der Freihandel: Trump bricht mit zahlreichen Nationen einen regelrechten Handelskrieg vom Zaun. Freier Handel und offene Grenzen, das sind für ihn keine Anliegen. Auch das nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) stellt er in Frage. Und das transpazifische Freihandelsabkommen, das G7-Mitglied Japan ein grosses Anliegen war, hat er gleich in der Embryophase sterben lassen.
«America First», Grenzzäune und Zollschranken hoch – das ist trumpsche Handelspolitik. Die wichtigen Handelspartner der USA sind empört und suchen nach Gegenmassnahmen. Das Thema dürfte einen Grossteil des G7-Gipfels beherrschen. Oder gar vergiften. Ein verbaler Schlagabtausch, sogar ein überaus heftiger, ist abzusehen.
Umweltschutz: Schluss mit Plastikmüll in den Ozeanen, eine rigorosere Klimapolitik und die Förderung «grüner Arbeitsplätze» sind zentrale Anliegen der kanadischen G7-Gastgeber. Donald Trump wird mit solchen Anliegen wenig anfangen können.
Frauen und sexuelle Minderheiten: Ein weiteres Kernanliegen des kanadischen Premiers. Er will die Frauenfrage gar in allen G7-Sitzungen thematisieren – egal welchem Thema sie gewidmet sind. Die Welt soll auch in den politischen und unternehmerischen Chefetagen weiblicher werden.
Warum? «Ganz einfach, weil wir im 21.Jahrhundert leben», pflegt Regierungschef Trudeau zu sagen. Trudeau möchte auch, dass die G7 ein milliardenschweres Programm verabschieden, dass vor allem den Mädchen in Entwicklungsländern zugutekommt und nicht zuletzt Bildungsanstrengungen fördert. Für Trump ist all das wohl kein Thema.
Wo stimmen die G7 überein?
Syrien: Schluss mit dem «Islamischen Staat» und Schluss mit dem jahrelangen blutigen Krieg. Und dies, selbst wenn der Preis dafür darin besteht, dass Diktator Baschar al-Assad vorläufig an der Macht bleibt. Alle G7-Staaten wollen ausserdem nicht, dass Syrien quasi iranisches Herrschaftsgebiet wird – dieser Punkt ist den Amerikanern allerdings noch weitaus wichtiger als den Europäern.
Nordkorea: Die vollständige, überprüfbare atomare Abrüstung Nordkoreas wollen alle G7-Staaten. Falls Trump das auf seinem bevorstehenden Treffen mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un in Singapur schafft – umso besser. Allerdings befürchten manche, allen voran Japan, dass Trump für einen persönlichen Prestigeerfolg viel zu viele Zugeständnisse machen und zu wenig herausholen wird. Und am Ende eben Nordkorea doch nicht abrüstet, aber unverdiente Gegenleistungen einheimst, etwa einen Abbau der Sanktionen.
Russland: Eine Fortführung der Sanktionen gegen Moskau dürfte die USA und die Europäer weiterhin verbinden. Ebenso der verstärkte Kampf gegen den sogenannten russischen «Informationskrieg», die Verbreitung von «Fake News» und die Einmischung in Wahlkämpfe in westlichen Ländern. Allerdings: In der Russlandfrage könnte auf einmal Italien abrupt ausscheren. Dessen neue recht-links-populistische Regierung will auf Kuschelkurs zu Moskau gehen.
Mutieren die G7 zu G6+1?
Häufig stehen vor einem G7-Gipfel die Beschlüsse bereits zum Vornherein fest. Die sogenannten «Sherpas», die Vorbereiter des Gipfels, haben sie längst ausgehandelt. Die Staats- und Regierungschefs ändern noch ein paar Worte, versetzen ein paar Kommas und nicken das Ganze ab.
Diesmal ist noch so gut wie nichts in trockenen Tüchern. Wenn auf dem Treffen in Charlevoix richtig deftig über Zölle und Handelsfragen gestritten wird, könnte die Stimmung so schlecht sein, dass die Sieben am Ende gar nichts verabschieden – und es nicht mal ein Schlusskommuniqué mit Allgemeinplätzen gibt.
Die G7 würden dann offenkundig zu den G6+1 – mit den USA weniger als Partner, denn als Gegner. Die älteste, solideste Partnerschaft, jene zwischen den westlichen Mächten, wäre dann massiv geschwächt – zur Freude von Ländern wie China oder Russland, die mit dem Westen rivalisieren.
Und das wird dann die Frage aufwerfen: Braucht es 2019 überhaupt noch einen G7-Gipfel?