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Seenotrettung im Mittelmeer «Machen weiter, bis sich Europa wieder verantwortlich zeigt»

Organisationen wie Sea-Watch oder Sea-Eye retten auf dem Mittelmeer Menschen, sind aber umstritten. Immer wieder weigern sich Anrainer-Staaten, die Geretteten aufzunehmen. Nun haben sich Malta, Italien, Frankreich und Deutschland diese Woche einigen können und einen Verteilschlüssel für Gerettete angedacht, der später in der ganzen EU zur Anwendung kommen könnte. Für Gorden Isler ist die Einigung nur Symbolpolitik. Die grundsätzlichen Probleme seien nach wie vor nicht gelöst.

Gorden Isler

Leiter Sea-Eye

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Isler leitet die Deutsche Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Regensburg. Die 2015 gegründete Partei umfasst 450 Mitglieder und rettet in Seenot geratene Menschen, meist im Mittelmeer.

SRF News: Was sagen Sie zum Verteilschlüssel?

Gorden Isler: Grundsätzlich ist das ein Hoffnungsschimmer, dass ein Stück Normalität zurückkehrt. Es kann nicht sein, dass immer wenn Menschen gerettet worden sind, ein Geschacher um Einzelschicksale losgetreten wird. Dass sich Regierungen mit der Frage beschäftigen, ob nun zehn oder zwölf Leute nach Portugal gehen.

Schiff auf Meer.
Legende: Private Organisationen wie Sea-Eye retten im Mittelmeer in Seenot geratene Menschen. Keystone

Es geht bei der Einigung nicht wirklich darum, die Last von Malta und Italien auf andere EU-Mitgliedsstaaten zu verteilen. Die Menschen, die es aus eigener Kraft nach Malta oder nach Italien schaffen, sind damit nicht gemeint. Es sind nur diejenigen Menschen gemeint, welche von Rettungsschiffen im zentralen Mittelmeer oder in der libyschen Such- und Rettungszone gerettet werden. NGOs haben 2019 etwas mehr als tausend Menschen gerettet. Malta und Italien werden erst mal nicht entlastet. Die Einigung taugt lediglich als politisches Symbol oder Schlagzeile.

Sie betreiben Schiffe, die solche Migranten und Flüchtlinge aufnehmen. Kann diese Einigung für Ihre Organisation eine Entlastung bedeuten?

Wir wurden in diesem Jahr vor Malta bereits dreimal blockiert, jeweils 100 Tage. Die Einigung ermöglicht uns, präsenter im Einsatzgebiet zu sein und möglicherweise mehr Menschenleben retten zu können.

Viele werfen den privaten Organisationen und ihren Schiffen vor, ein Anreiz für die Migranten zu sein. Was sagen Sie dazu?

Von den Universitäten Oxford, Osnabrück und London gibt es ausführliche Ausarbeitungen zu dem Thema, die teilweise sogar belegen konnten, dass in Zeiten der Abwesenheit von Rettungsschiffen sogar mehr Menschen gestartet sind.

Boot mit Flüchtlingen.
Legende: «Solange wir können, werden wir weitermachen.» Isler und seine Organisation wollen auch in Zukunft auf dem Mittelmeer aktiv sein. Keystone

Im Seegebiet vor Libyen fahren jeden Tag Dutzende Frachter und Handelsschiffe herum. Zu sagen, dieses eine Rettungsschiff löst den «Pull- Faktor» aus und die anderen 20 Fracht- und Handelsschiffe nicht, ist völlig unrealistisch.

Werden Sie mit ihren Einsätzen weitermachen?

Solange wir das können, werden wir das machen. Aktuell ist unsere Mission ausgefallen, weil die finanziellen Mittel nicht ausreichen, um eine weitere Rettungsmission durchzuführen. Wir sind unterwegs und sprechen mit vielen Menschen darüber, um die nächsten Rettungseinsätze sicherzustellen. Wir führen diese Arbeit so lange weiter, bis Europa sich wieder verantwortlich zeigt. Dass sich Europa gemeinschaftlich wieder willig zeigt, Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Dass die Menschen nicht dem Irrtum aufliegen, wenn man möglichst viele Menschen ertrinken liesse und sie stürben, weniger Menschen versuchten, nach Europa zu kommen.

Das Gespräch führte Rafael von Matt.

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