Eugen Heng steht aufrecht in seinem Boot. Um seinen Körper hat er eine Schwimmweste gezurrt. Genervt zeigt er auf ein paar Plastikflaschen im Wasser. «Jedes Mal passiert das, wenn es regnet: Dann schwemmt es den ganzen Müll in die Kanalisation und in den Fluss und schliesslich hier runter in die Marina Bay. Wir müssen den Müll dann wieder einsammeln», sagt Heng.
Wir, das ist eine Gruppe von Freiwilligen der Waterways Society. Der 69-jährige ehemalige Banker Eugen Heng hat die Organisation gegründet – vor 20 Jahren.
Das Wasser ist unser Trinkwasser. Niemand soll es verschmutzen!
Mit Kanus, Booten und zu Fuss sind die Freiwilligen unterwegs. Sie säubern die Flüsse und Seen. Heng steuert sein kleines Boot an ein paar Wassersportlern vorbei über den künstlichen See des Marina Reservoirs in Richtung Finanzzentrum der Stadt. «Die Leute nutzen den See hier als Freizeitpark, zum Kajak fahren oder Drachenboot rudern», erklärt Heng. Eines dürfe man aber nicht vergessen: Der See sei ein Reservoir. «Das Wasser ist unser Trinkwasser. Niemand soll es verschmutzen!»
Weitsichtiger Staatsgründer
Obwohl sich Umweltaktivist Heng über die paar Plastikflaschen ärgert, im asiatischen Vergleich sind Singapurs Flüsse erstaunlich sauber. Das war nicht immer so. Vor Singapurs Staatsgründung 1965 waren sie reine Kloaken. Die Marina Bay, die heute von einem Damm eingeschlossen ist, war eine offene Meeresbucht.
Doch der weitsichtige Staatsgründer Lee Kwan-Yew wollte aus seiner kleinen Nation, die weder Wasser noch Bodenschätze besass, ein reiches Land machen. Dazu brauchte er Land und Wasser.
Die vier Säulen des Wassers
So habe er einen Entwicklungsplan für 50 Jahre aufgestellt, mit der Zukunftsvision einer hochindustrialisierten, dichtbevölkerten Nation, die selbst genügend Trinkwasser produziert, sagt Cecilia Tortajada. Sie ist Wasserexpertin, die an der Nationalen Universität von Singapur lehrt. «Wenn in Singapur eine Strategie entworfen wird, dann wird sie durchgesetzt. So entstand der Vier-Quellen-Plan», sagt Tortajada.
Diese vier Quellen stehen für die Wasserversorgung von Singapur:
- Importiertes Wasser aus Malaysia
- Wasser aus Entsalzungsanlagen
- Wasser aus Reservoirs
- Gereinigtes Abwasser
Wenn Wasser zum Druckmittel wird
Die Mehrheit des Trinkwassers kam lange Zeit aus Malaysia. Dazu schloss Singapur bereits 1962 ein hundert Jahre gültiges Abkommen mit seinem grossen Nachbarn. Doch Malaysia nutzte Singapurs Wasser-Abhängigkeit bei politischen Unstimmigkeiten immer wieder als Druckmittel.
Vor allem Mahathir Mohamad, der Malaysia jahrzehntelang regierte, drohte mehrfach, Singapur den Wasserhahn zuzudrehen. Nun ist der 93-Jährige wieder an der Macht. Und bereits im August liess Mohamad verlauten, er wolle den Wasserpreis um das Zehnfache erhöhen.
Abkommen hin oder her, Wasser werde immer ein politisches Druckmittel bleiben, glaubt Umweltaktivist Heng. «Früher wurden Wasserkriege geführt. Mit der Erderwärmung wird das wieder der Fall sein. Deshalb sagte unser Staatsgründer Lee Kwan-Yew immer: Wir müssen in unserer Wasserversorgung unabhängig werden, damit Malaysia uns nicht immer das Messer auf die Brust setzt. Er glaubte, dass das mit der richtigen Technologie erreicht werden kann», sagt Heng.
Das Vorzeigeprojekt Marina Bay
Singapur investierte Milliarden in die Entwicklung und den Bau nachhaltiger Wassersysteme. Heute wird nur noch 20 bis 45 Prozent von Singapurs Wasserversorgung von Malaysia gedeckt. Für den Rest sorgt Singapur selbst. Die Marina Bay wurde dabei zu einem der Vorzeigeprojekte. Ein Damm trennt heute die Stadt vom Meer.
Hier gibt es auch ein Wassermuseum. Ein Touristenführer steht vor einer Schulklasse und erklärt: «Wir haben zwar sehr viel Regen, aber unser Land ist zu klein, um das Wasser einzufangen. Deshalb wollte Lee Kwan-Yes Wasserreservoirs bauen. In den 1980er Jahren hatten wir die Technologie nicht, um einen Damm hier über die Bucht zu bauen. Doch das änderte sich.»
2008 wurde der Damm fertiggestellt. Er schliesst die Meeresbucht ab und dient der Flutkontrolle. Die Bucht ist nun ein künstlicher See, der von fünf künstlichen Flüssen gespiesen wird, deren Wasser aus Wasserauffangbecken stammt. Er dient als Vergnügungspark und Trinkwasserversorgung.
Zwei Drittel von Singapurs Land dienen heute als Wasserreservoir, so zumindest die offizielle Statistik. Doch damit nicht genug: «NewWater» (Neues Wasser) nennt die Regierung eine ihrer wohl sorgfältigsten PR-Aktionen. «Neues Wasser» ist nämlich nichts anderes als Abwasser, das bis zu Trinkbarkeit geklärt wurde.
Auch in einer der fünf Kläranlagen, in der «Neues Wasser» hergestellt wird, hat die Regierung ein Museum eingerichtet. Hier werden die Prozesse von Umkehrosmose, Membranen und UV-Technologie, die jeden Virus und jedes Bakterium vernichten, erklärt. Das Wasser ist am Ende so sauber, dass es mit Mineralien angereichert werden muss, bevor es verteilt wird.
Mit gutem Beispiel voran
Heute wird bereits 40 Prozent der Wasserversorgung von Singapur mit «Neuem Wasser» abgedeckt. Doch als die Produktion 2002 begann, habe es sehr viel Überzeugungsarbeit bei der Bevölkerung gebraucht, sagt Wasserexpertin Cecilia Tortajada.
«Die Leute misstrauten dem ‹Neuen Wasser› anfänglich, weil es aus Abwasser gewonnen wird. Um es zu lancieren trank der Premierminister nach einem Tennis Match eine Flasche ‹Neues Wasser›», erzählt Tortajada. Ein Bild, das überall in den Medien veröffentlicht wurde. «Nicht nur Technologie brauchte es, sondern vor allem Kommunikation, damit das Wasser von der Bevölkerung akzeptiert wurde.»
Bis Ende 2061 plant Singapur wasserunabhängig zu werden. Dann endet das Wasser-Abkommen mit Malaysia. Singapur will sich des Messers entledigen, das der grosse Bruder ihm auf die Brust setzt. Es ist auf bestem Weg dazu.