Zum Inhalt springen

Städte wachsen rasant Wo die Mega-Cities aus dem Boden spriessen

  • Immer mehr Menschen leben in Städten. Inzwischen tun es rund 54 Prozent der Weltbevölkerung.
  • 548 Millionen-Städte zählte die Welt 2018. Die UNO schätzt, dass es 2030 über 700 Millionen-Städte geben wird.
  • 33 Städte zählen heute über 10 Millionen Einwohner. 2030 werden es 43 sein, so die UNO.

Asien ist einsame Spitze. Auf keinem anderen Kontinent leben so viele Menschen wie in Asien: 4.5 Milliarden von bald 7.7 Milliarden weltweit. Kein anderer Kontinent ist in den letzten Jahrzehnten so schnell verstädtert wie Asien. 56 der 100 grössten Städte liegen in Asien. 19 asiatische Städte haben gar die 10-Millionen-Einwohner-Schwelle überschritten. 6 dieser so genannten Megastädte liegen allein in China.

In den nächsten zehn Jahren dürften zwei weitere chinesische Millionen-Städte die 10-Millionen-Schwelle übersteigen, gemäss Schätzungen der UNO.

In China gibt es viele Städte, die um die 10 Millionen Einwohner haben, von denen wir die Namen nicht einmal kennen.
Autor: Fabienne Hoelzel Professorin für Städtebau, Stuttgart

Von einer «extremen Geschwindigkeit» der Verstädterung spricht Städtebau-Expertin Fabienne Hoelzel von der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Stuttgart. In China sei die beschleunigte Planung und der Bau von Städten und hocheffizienten Verkehrswegen offizielle Politik. «China war bis weit ins 20. Jahrhundert ein Agrarstaat, in dem Millionen Menschen teilweise in Armut lebten», blickt Hoelzel zurück und zeigt sich «beeindruckt vom grossen Gestaltungswillen» Chinas, das Land zu entwickeln und Millionen von Menschen ein Leben in Wohlstand zu ermöglichen. Dieser Gestaltungswille müsse gleichzeitig kritisch hinterfragt werden.

Als Nicht-Demokratie könne China viel schneller vorgehen: «Die Regierung kann alle Akteure hinter sich scharen: Baufirmen, Banken und weitere Unternehmen und kann so eine extreme Geschwindigkeit entwickeln beim Bau der Städte. In der Tat gibt es in China viele Städte mit rund 10 Millionen Einwohnern, von denen wir die Namen nicht einmal kennen.»

Afrikas Bevölkerung wächst stärker als jene in Asien

Ist die Bevölkerung Asiens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark und schnell gewachsen, hat sich das Wachstum gerade in China inzwischen abgeflacht. Im Vergleich dazu wächst Afrika heute wesentlich schneller. Das jährliche Wachstum Afrikas verharrt seit dem Jahr 2000 bei rund 2.5 Prozent. Während sich das Wachstum Asiens im selben Zeitraum gemäss des UNO-Bevölkerungsreports von 2015 von 1.2 Prozent auf 0.9 Prozent verlangsamt hat.

Stadtplanerin Fabienne Hoelzel interessiert der «Raum dazwischen»

Box aufklappen Box zuklappen
Porträtfoto von Stadtplanerin Fabienne Hoelzel
Legende: SRF

SRF News: Fabienne Hoelzel, Europa und Nordamerika zählen «nur» je drei Megastädte mit mehr als 10 Millionen Einwohnern. Asien zählt 19 Megastädte. Was läuft in Europa anders?

Fabienne Hoelzel: In Europa wächst die Bevölkerung seit Jahrzehnten praktisch nicht mehr signifikant. Und in Europa leben bereits ungefähr 75 Prozent der Bevölkerung in Agglomerationen. Planer und Statistiker legen den Fokus zu stark auf die grossen Städte. Die meisten Menschen leben in kleineren Städten oder Agglomerationen, die irgendwo zwischen den Ballungszentren liegen – und dort geschehen aus städteplanerischer Sicht die interessanten Prozesse.

SRF News: Inwiefern?

Fabienne Hoelzel: Diese «Zwischenstädte» oder Stadtlandschaften entwickeln sich recht schnell und ungehindert. Diese Phänomene werden in der Forschung seit Jahrzehnten diskutiert, sind aber aus verschiedenen Gründen kaum im Planungsalltag von Gemeinden und Büros angekommen. Die sogenannte Digitalisierung - und damit verbunden der Online-Handel -, verstärkt diese Prozesse, da Lagerhäuser in den Peripherien an logistischen Knotenpunkten in riesigen Massstäben gebaut werden.

SRF News: Warum wäre es aus städteplanerischer Sicht erstrebenswert, den Fokus vermehrt auf kleinere Städte und Agglomerationen zu legen?

Fabienne Hoelzel: Weil das Leben in sehr grossen Städten für viele sehr mühsam geworden ist. Die Infrastruktur muss extrem viel leisten und stösst an ihre Grenzen. In Mexiko-City, São Paulo oder Lagos, zum Beispiel, sind viele Leute bis zu vier Stunden im Tag unterwegs.

SRF News: Was ist Ihr Gegenmodell?

Fabienne Hoelzel: Man könnte kleinere Siedlungsstrukturen in einem grösseren Zusammenhang anschauen und sich fragen, wie man diese «Regionen» entwickeln kann, mit anderen Wohn- und Arbeitsmodellen, mit der Landschaft und den Ressourcen wie beispielsweise Wasser und Energie als Grundlage, so dass die Planung von Verkehrswegen und Infrastrukturbauten anders angegangen werden kann.

Das Interview führte Michael Gerber.

Das wirkt sich auch auf den Städtebau aus. Mit Kairo ist eine afrikanische Stadt in die Top Ten der grössten Städte der Welt aufgestiegen, mit 20 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Mit Lagos (Nigeria) und Kinshasa (Kongo) sind zwei weitere afrikanische Städte mit mindestens 13 Millionen Einwohnern in den Top 20 zu finden.

Lagos entwickelt sich nicht von oben herab und zentral geplant, sondern aus einer extremen Kreativität heraus.
Autor: Fabienne Hoelzel Professorin für Städtebau, Stuttgart

Städteplanerin Fabienne Hoelzel weilt regelmässig in der nigerianischen Millionen-Stadt Lagos. Sie erforscht dort das Zusammenspiel von informellen und offiziellen Akteuren in der Stadtentwicklung. Hoelzel stellt fest, dass in Lagos öffentliche Stellen kaum in die Planung eingreifen können oder wollen, anders als in Asien – wo vieles ganz oben entschieden und schnell realisiert werde. «In Lagos geschieht vieles aus einer gewissen Anarchie heraus – und auch aus dem Wissen, was das Leben verlangt. Vieles geschieht direkt aus dem Alltag heraus. Es ist ein beständiges Bereitstellen urbaner Ressourcen.»

Übrigens: Europa zählt gegenwärtig drei Megastädte – mit Instanbul (14.7 Mio. Einwohner), Moskau (12.4 Mio.) und Paris (10.9 Mio.). London liegt knapp unter der 10-Millionen-Schwelle, mit seinen 8.9 Millionen Einwohnern.

Meistgelesene Artikel