Das Wichtigste in Kürze
- In Syrien beginnt das neue Jahr mit einer weiteren Offensive der Regierungskräfte von Staatschef Assad und dessen russischen und iranischen Verbündeten.
- Diese Allianz macht mit Bombardements aus der Luft und Bodenoffensiven in den vergangenen Tagen schnelle Fortschritte im Süden der Provinz Idlib, der letzten grösseren Bastion der Aufständischen.
- Der Zivilbevölkerung bringen die schweren Kämpfe neues Leid.
Aus New York kommt eine weitere Warnung – eine von unzähligen in diesem bald siebenjährigen Syrienkrieg. Die UNO sei tief besorgt über den Schutz von zehntausenden Menschen im Norden des Landes, wo die Kämpfe offenbar hunderte Tote und Verletzte gefordert und eine neue Fluchtbewegung ausgelöst hätten. Mitten in der Winterkälte und in Richtung von Dörfern und Städten, die ihrerseits in Not seien, sagt Stéphane Dujarric, der Sprecher des UNO-Generalsekretärs.
Assad sammelt neue Kräfte
Doch die Generäle und Warlords beider Seiten kümmert das wenig. Der Syrienkrieg soll nicht am Verhandlungstisch, sondern auf dem Schlachtfeld beendet werden.
Jeden Quadratmeter Syrien werde er zurückerobern, bekräftigt Staatspräsident Assad immer wieder, seit der russische Kriegseintritt das Blatt zu seinen Gunsten gewendet hat.
Mit der Niederschlagung des Terrorkalifats von IS im Osten hat Assad starke Kräfte freibekommen für die nächste Phase in diesem Plan: Die Bekämpfung der letzten Reste des bewaffneten Aufstands im Umland von Damaskus und in der Provinz Idlib, westlich von Aleppo.
Kurz vor einem symbolischen Triumph
Rebellenvertreter berichten von Dauerbombardements von Dörfern und Kleinstädten, das dem Vorstoss der Bodentruppen vorausgehe. In der Luft werden die syrischen Regierungstruppen und ihre iranischen Verbündeten unterstützt von russischen Militärjets.
Dieses Kampfbündnis hat innert weniger Tagen von Süden her einen tiefen Keil in die Provinz Idlib geschlagen. Die vor zwei Jahren verlorene Luftwaffenbasis Abu Dhuhur ist noch ein paar wenige Kilometer von den vordersten Linien entfernt.
Deren Rückeroberung wäre ein weiterer symbolischer Triumph. Und von Abu Duhur dürfte es noch ein kleiner Schritt sein hin zur Spaltung des Rebellengebiets im Norden. Ein Ergebnis davon: Die Strassenverbindung von Damaskus in die Handelsmetropole Aleppo wäre wieder viel besser gesichert.
Erfolgsmeldungen jeden Tag
Im syrischen Staatsfernsehen liefert die Neujahrsoffensive jeden Tag Stoff für Erfolgsmeldungen: Der Reporter berichtet aus einem Kleinstädtchen hinter der Front, wo eben noch islamische Extremisten, die Al Kaida nahestehen, die Kontrolle hatten. «Terroristen». Die Regimepropaganda reduziert den ganzen bewaffneten Konflikt in Syrien seit dessen Beginn geschickt auf dieses eine Schlagwort. «Terroristen» – die vom Ausland, vom Westen, von Israel und den verbündeten sunnitischen Golfstaaten hochgerüstet oder gar geschickt worden seien. Um die legitime Ordnung in Syrien zu zerstören.
Kein Wort von Zensur, staatlicher Repression, einem halben Jahrhundert autoritärer Herrschaft unter Assad – dem Vater und dem Sohn, Kleptokratie, grassierender Beamtenkorruption, Misswirtschaft, welche alle der Rebellion mit den Boden bereitet hatten.
Die Aufständischen schicken Durchhalteparolen
Die Aufständischen bestreiten die Erfolge des Regimes nicht. Die sogenannte syrische Koalition der Oppositionskräfte verbreitet dennoch täglich zornig Communiques – ein Versuch, ihre Bedeutungslosigkeit zu überspielen. Und fordert weiter Assads Rücktritt.
Doch selbst die Verlautbarungen der extremsten Gruppen klingen inzwischen mehr nach Durchhalteparolen. Von «Mobilisierung aller Kräfte» ist die Rede, trotz der Rückschläge, der beschränkten Mittel. Immer eindringlicher wird der Schulterschluss gefordert, was nur umso deutlicher die inneren Spannungen zeigt.
Der Aufstand war von Anfang an zerstritten, zerfiel in hunderte lokale Gruppen, die den Vorgaben widerstreitender sunnitischer Regionalmächte folgten, gemässigte Kräfte wurden von Extremisten abgedrängt. Das hat die Rebellion schwer diskreditiert. Wer wollte in einem Syrien leben – aufgeteilt in feindliche Fürstentümer, angeführt von religiösen Fanatikern oder schwerkriminellen Kriegsgewinnlern. Seine Feinde wurden Assads stärkstes Argument.
Der Westen und das romantische Bild der Revolution
Teile des Westens ermutigten diese Opposition, zeichneten das romantische Bild einer Revolution, das Volk geschlossen gegen den Diktator, als ob Syrien nicht ein Patchwork sei, durchzogen von Klientelismus. Verschiedene Bevölkerungsgruppen entscheiden hier über ihre Loyalität, fragen sich immer neu, wer am ehesten Schutz garantiert. Diejenigen, die sich für ein anderes, ein gerechteres Syrien eingesetzt hatten, sind nicht mehr da, sind im Gefängnis, im Ausland. Oder verstummt. Und Ausgleich ist auch weiterhin nicht in Sicht.
Das neue Jahr wird neue Loyalitätsbezeugungen erfordern – in der umkämpften Provinz Idlib, aber auch im Osten Syriens. Dort sind kurdische Milizen auf den Trümmern des Terrorkalifats von IS mit amerikanischer Unterstützung bis weit ins sunnitische Stammesland vorgestossen, weit über ihre eigentliche Einflusssphäre hinaus. Russland als wichtigster Verbündeter von Assad ruft für Ende Monat zur Syrienkonferenz nach Sotchi. Das syrische Staatsfernsehen betont umso mehr, wie unverzichtbar Assad sei. Für alle.
Eine simple Botschaft am Ende des siebten Kriegsjahrs
Assads Premierminister besucht Aleppo, verspricht im zerbombten Osten Wiederaufbau. Die Rede ist von einer schweren Prüfung, aus der das Land aber gestärkt hervorgehe. Zu sehen sind erschöpfte, aber erleichterte Gesichter. Turnhallen, Schulhäuser flimmern vorüber, die restauriert werden sollen. Der Politiker appelliert an die Polizeikräfte, mahnt sie, für alle Bürger da zu sein. Dazwischen patriotische Videoclips.
Trotz Hass und Zerstörung, Hundertausenden Toten, Millionen Vertriebenen – Syrien rappelt sich unter Assads weiser Führung auf wie nach einer Naturkatastrophe – so die simple Botschaft aus Damaskus zum Ende des siebten Kriegsjahrs.