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International Syrien: Nicht alle Journalisten haben aufgegeben

Die Untergrundorganisation «Raqqa ist being slaughtered silently» deckt die Verbrechen des IS und des Assad-Regimes in Syrien auf. Das ist extrem gefährlich: Kürzlich wurde mit dem syrischen Dokumentarfilmer Naji Jerf einer der wichtigsten Vertreter des Info-Netzwerks ermordet.

Naji Jerf wurde vor aller Augen ermordet; mitten am Tag auf offener Strasse in einer belebten Gegend. Die Bluttat geschah leise und schnell im Zentrum der türkischen Stadt Gaziantep. Die Waffe war schallgedämpft, die Täter verschwanden sofort. Der 38-jährige syrische Filmemacher und Journalist wurde von zwei Kugeln im Kopf getroffen und war auf der Stelle tot.

Film über die IS-Schreckensherrschaft

Noch am Abend zuvor war der Vater von zwei Kindern mit Freunden zusammen. «Wir waren mit vielen Kollegen zusammen und Naji hat sehr schön gesungen», beschreibt Azad den Abend. Der Autor habe auch von seinem Film erzählt, der sich darum dreht, was der IS in Aleppo 2013/14 angerichtet hat. «Der Film ist wohl mit ein Grund, wieso sie ihn getötet haben», sagt Azad.

Der IS hat sich nicht zum Mord bekannt und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Täter aus einer anderen Richtung kommen. Denn Jerf hat auch die Verbrechen des Assad-Regimes angeprangert. Doch es war seine Dokumentation «Daesh oder IS in Aleppo», die viel Aufsehen erregt hatte. Der Film zeigt die Schreckensherrschaft der Terrormiliz «Islamischer Staat», die Unterdrückung der zivilen Aktivisten und der Bevölkerung.

Der Film wurde im arabischen Sender al Araybia gezeigt, zwölf Millionen Menschen haben ihn gesehen. Jerf wusste, wie gefährlich dies war, sein Freund Azad auch. «Für den IS hat der Film alle Grenzen überschritten», sagt er. Bild und Wort seien für die islamistische Gruppe sehr wichtig. Deshalb seien Journalisten derart gefährdet.

Untergrundorganisation in Rakka

Trotzdem leistete Jerf weiter Widerstand mit seiner Kamera. Und er ging noch weiter, indem er junge Aktivisten in Syrien ausbildete. Er lehrte sie, Informationen zu sammeln und weiterzugeben. Die Aktivisten organisierten sich 2014 in der IS-Hochburg Rakka unter dem Namen «Raqqa is being slaughtered silently». Übersetzt heisst das: «Rakka wird abgeschlachtet, ohne dass die Welt Notiz davon nimmt.»

In Syrien selber gibt es ein paar dutzend oder hundert solcher mutiger Widerstandskämpfer, man weiss es nicht genau. Sie arbeiten im Untergrund; subversiv und anonym. Sie drehen Videos vom Alltag unter IS-Herrschaft, sprühen nachts anti-IS- oder anti-Assad-Slogans an die Mauern. Sie dokumentieren Luftangriffe, Terroranschläge, Hinrichtungen oder Morde.

Das alles tun sie unter höchster Lebensgefahr und allgegenwärtigen Überwachungskameras in der Stadt. Diese jungen syrischen Aktivisten stehen ein für ein freies, demokratisches Syrien und sind unterdessen zu einer der wenigen authentischen Informationsquellen in dem Kriegsgebiet geworden. Sie bezahlen dafür den höchsten Preis, den es gibt: Mit ihrem Leben.

Etliche Aktivisten wurden umgebracht

2014 enttarnte der IS den Mitbegründer der Organisation, den 21-jährigen Motaz Billah in Rakka. Er wurde hingerichtet. Im vergangenen Dezember wurde Ahmad Mohammed al Moussa in Idlib ermordet und kurz darauf in Rakka eine der aktivisten Bügerjournalistinnen Syriens, Ruqia Hassan.

Die syrischen Aktivisten und Journalistinnen sind nirgendwo mehr sicher, auch nicht im Exil, wie das Beispiel des Filmemachers Jerf zeigt. Besonders unsicher ist für sie die Türkei: Im vergangenen Oktober wurden in der türkischen Stadt Urfa zwei 20-jährige Aktivisten ermordet, die ebenfalls für die Rakka-Bewegung arbeiteten. Ihr Mörder gab sich als IS-Aussteiger aus und gewann das Vertrauen der beiden. Dann brachte er sie um und rühmte sich anschliessend höhnisch seiner Tat in einem Bekennervideo des IS.

Audio
Wer unabhängig aus Syrien berichtet, lebt äusserst gefährlich
aus Echo der Zeit vom 14.01.2016.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten.

Auch in der Türkei nicht sicher

Auch Jerfs Freund Azad fühlt sich in der Türkei nach eigenen Worten mittlerweile unsicher. «Die Stimmung ist ganz anders als früher», sagt er. Offensichtlich kann der IS in der Türkei Menschen unbehelligt ermorden. Auch das Attentat gegen die Kurden in Suruç letztes Jahr zeigt dies.

Journalisten leben generell gefährlich in der Türkei, wo die Pressefreiheit einen düsteren Negativrekord aufweist und türkische Journalisten es kaum noch wagen, die Regierung oder Präsident Erdogan zu kritisieren. Die Angst vor Verfolgung und Gefängnis ist allgegenwärtig. Dass sich IS-Leute in der Türkei frei bewegen ist kein Geheimnis, aber es ist ein Tabu, darüber zu berichten.

Jerf wollte mit der Familie nach Frankreich

Das Komitee zum Schutz der Journalisten CPJ, eine internationale Nichtregierungs-Organisation, die sich für Pressefreiheit und Menschenrechte einsetzt, fordert von der türkischen Regierung, den Mord an Jerf sofort aufzuklären und die syrischen Journalisten zu schützen. CPJ hat der Bewegung «Raqqa is being slaughtered silently» wenige Wochen vor der Ermordung Jerfs den Preis für Pressefreiheit verliehen.

Naji Jerf bleibe auch nach seinem Tod noch ein Vorbild, sagt Azad. «Er hat immer gesagt, wir müssten aufstehen und dürften nicht aufhören, aktiv zu bleiben – für die Menschen, die noch am Leben sind.» Ihr Ziel sei der Aufbau eines modernen Rechtsstaats in Syrien.

Jerf hatte sich und seine Familie in Sicherheit bringen wollen. Er hatte für den 28. Dezember einen Flug nach Frankreich gebucht, wo er Asyl beantragt hatte. Einen Tag zuvor wurde er in Gaziantep ermordet.

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