«Ich weinte sehr oft und hoffte, dass mich jemand retten würde. Aber das geschah nicht». So spricht Sherry Johnson, 58, über ihre Zeit als Teenager. Im Alter von 17 Jahren hatte sie bereits 6 Kinder mit einem Mann, der neun Jahre älter war als sie.
Als 10-jähriges Mädchen wurde sie nach einer Vergewaltigung schwanger. Ihre Mutter, Mitglied einer christlich-apostolischen Gemeinde in Florida, zwang sie, den 20-jährigen Peiniger zu heiraten. Heute kämpft Johnson dafür, dass solche Kinder-Ehen landesweit verboten werden.
Religion und Tradition
Sie habe sich damals im Stich gelassen gefühlt, sagt Sherry heute. Viele hätten von ihrem Schicksal gewusst. Vom Spital über die Schule bis zu den Behörden des Bundesstaates. Doch niemand habe ihr geholfen. Wenigstens gelang es ihr mit Unterstützung eines Anwalts, die die Ehe noch vor ihrem 18. Geburtstag aufzulösen.
Es ist eine Mischung aus religiösen und kulturellen Traditionen, gegen die Sherry Johnson und ihre Mitstreiterinnen ankämpfen. Ihre Mutter habe sie aus Rücksicht auf die Kirche zur Heirat gezwungen, sagt Sherry – um ein aussereheliches Kind zu verhindern.
Doch Kinder-Ehen kommen nicht nur in gewissen christlichen Gemeinschaften vor: «Es geschieht in jeder Kultur, jeder Religion und jeder Community», sagt Fraidy Reiss, Gründerin und Direktorin der Organisation «Unchained At Last», welche sich für die Opfer von Zwangsheiraten einsetzt. Die Organisation betreue Opfer aus allen grossen Religionen, seien es Christen, Juden oder Muslime, sagt Reiss.
Kinderheiraten dank Schlupflöchern im Gesetz
Eigentlich gilt in den USA vielerorts Mindestalter 18 zum Heiraten. Doch Ausnahmen sind möglich und werden oft gewährt, beispielsweise wenn das Mädchen schwanger ist. «Meist sind die Eltern die Täter», sagt Reiss. Eltern nötigten ihr eigenes Kind zur Heirat – und mit elterlichem Einverständnis ist die Kindesheirat vielerorts legal möglich. Auf Basis solcher Schlupflöcher werden in den USA jährlich mehrere Tausend Kinder-Ehen geschlossen .
Nicht selten geht es darum, den Mann vor rechtlicher Verfolgung wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen zu schützen. In vielen Bundesstaaten verändert die Ehe die Regeln, nach welchen ein Täter für Vergewaltigung und ähnliche Vergehen ins Gefängnis muss.
Doch die Folgen für die Opfer sind oft schwerwiegend. Kinderbräute litten häufig unter posttraumatischen Störungen, Depressionen und anderen Folgen für die psychische Gesundheit, sagt Jeanne Smoot. Sie befasst sich bei der Nichtregierungsorganisation «Tahrir Justice Center» eingehend mit dem Thema.
Konservativer Widerstand gegen ein Verbot
Ein Gesetzesentwurf, der in Florida ein Mindestalter 18 ohne Ausnahmen für Eheschliessungen festlegen will, schaffte es problemlos durch die kleine Kammer, den Senat. Doch im Repräsentantenhaus gibt es Widerstand von republikanischer Seite.
Richard Corcoran, republikanischer Sprecher des Repräsentantenhauses, fordert Ausnahmen, die es Minderjährigen im Alter von 16 und 17 Jahren im Fall einer Schwangerschaft erlauben würde, zu heiraten.
Sonst würden wir sie zwingen, unverheiratet zu bleiben, wenn das Kind zur Welt kommt. Das ist keine gute Regierungsführung.
Solche Aussagen zeigen, wie tief verwurzelt und «heilig» die Ehe in weiten Teilen der US-Gesellschaft nach wie vor ist. Die Freiheit zu heiraten solle so wenig eingeschränkt werden wie möglich, heisst es mancherorts.
Im Bundesstaat New Jersey scheiterte eine Vorlage für ein Mindestalter 18 im letzten Jahr am Veto des damaligen republikanischen Gouverneurs Chris Christie. Ein Gesetz ohne Ausnahmen stimme nicht mit den Empfindlichkeiten und – in gewissen Fällen – den religiösen Gepflogenheiten der Menschen in New Jersey überein, argumentierte Christie.
Bedenken gegen ein Verbot auch von links
Doch es sind nicht nur konservative Republikaner, welche sich einem ausnahmslosen Mindestalter 18 in den Weg stellen. In Kalifornien scheiterte eine entsprechende Vorlage auch am Widerstand linker Organisationen wie ACLU und Planned Parenthood: «Wir sind nicht überzeugt, dass ein Ehe-Bann solche Zwangs-Partnerschaften verhindern kann», sagte Phyllida Burlingame von der ACLU gemäss dem Newsportal pbs.org. «Die jungen Frauen könnten dadurch am Zugriff auf Sozialdienste gehindert werden».
Sherry Johnson kämpft weiter
Sherry Johnson will ihren Kampf gegen Kinderehen über den Bundesstaat Florida hinaus ins ganze Land tragen. Im Gespräch mit Politikern treffe sie zuerst oft auf Unverständnis. «Meine Story fiel auf taube Ohren», sagt sie. Die Parlamentarier hätten zuerst gedacht , so etwas sei in Florida nicht möglich.
Nun hofft Sherry Johnson darauf, dass alle Bundesstaaten Mindestalter 18 festlegen. Ausnahmen dürfe es keine mehr geben. «I oppose it big time», sagt sie – «da bin ich schwer dagegen».