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Tauwetter am Horn von Afrika «Wenn ich einen Job finde, gehe ich wieder zurück»

Seit Eritrea und Äthiopien einen Friedensvertrag unterzeichnet haben, herrscht am Horn von Afrika Tauwetter. Viele Eritreer nutzen die politische Lage zur Flucht aus dem Land. Eine Reportage.

Eine 14-jährige Eritreerin sitzt mit Freunden auf Steinblöcken entlang einer staubigen Strasse im äthiopischen Zalambessa. «Ich bin mit meiner Schwester gekommen, nun will ich mich registrieren lassen», erzählt sie. Ihr Ziel ist Kanada. Dort leben ihre Verwandten.

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Legende: Viele Eritreer sind über die offene Grenze nach Äthiopien gekommen und lassen sich am Grenzort Zalambessa als Flüchtlinge registrieren. Samuel Burri/SRF

Nebenan stehen rund 50 Eritreer in einer Schlange – darunter viele Frauen und Kinder. Sie sind über die offene Grenze gekommen und lassen sich im äthiopischen Grenzort als Flüchtlinge registrieren. Seit die Grenze zwischen Eritrea und Äthiopien geöffnet wurde, haben sich 14'000 Eritreer als Flüchtlinge registrieren lassen. Das sind rund 250 pro Tag.

Tauwetter nach Jahrzehnten des Konflikts

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Nach einem jahrzehntelang andauernden Konflikt sagte sich Eritrea Anfang der 1990er-Jahre von Äthiopien los und rief daraufhin seine eigene Unabhängigkeit aus. Dieser Konflikt mündete schliesslich in einen Krieg zwischen den beiden Staaten von 1998 bis 2000. Dieser militärischen Eskalation fielen rund 80'000 Menschen zum Opfer.

Im Dezember 2000 einigten sich beide Seiten auf ein Waffenstillstandsabkommen – doch die Spannungen blieben. Es kam immer wieder zu Provokationen und Scharmützeln. Vergangenen Sommer zogen Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed und Eritreas Präsident Isaias Afewerki aber einen Schlussstrich unter die Feindseligkeiten und unterzeichneten einen Friedens- und Freundschaftsvertrag. Seither herrscht am Horn von Afrika Tauwetter. Diese politische Entspannung nutzen jedoch viele Menschen in Eritrea dazu, das Land zu verlassen.

Zielort Schweiz

Er wolle in die Schweiz weiterreisen, sagt ein 25-jähriger Eritreer zu seiner Schwester. Der junge Mann hat den berüchtigten eritreischen Nationaldienst verlassen. Darum könne er nun auch nicht mehr zurück. Zu Eritreas Politik äussert er sich nicht. Die Angst ist allgegenwärtig, fast niemand will reden, weil das eritreische Regime gegen Familienmitglieder in Eritrea vorgehen könnte. Die wirtschaftliche Lage ist weiterhin prekär. Immerhin hat aber der UNO-Sicherheitsrat im November die Sanktionen gegen das Land aufgehoben.

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Legende: Die Minibus-Reise von Asmara nach Mekele dauert rund 24 Stunden und kostet 10 Franken. Samuel Burri/SRF

Minibusse verkehren mittlerweile zwischen der eritreischen Hauptstadt Asmara und dem äthiopischen Provinzort Mekele. Die Reise dauert fast einen Tag und kostet rund zehn Franken.

Mit den Flüchtlingen floriert die Wirtschaft

In Mekele floriert die Wirtschaft, seit die Eritreer ankommen. Die Hotelzimmer sind gut gefüllt, das Benzin hingegen wird knapp, weil Lastwagen täglich hunderte Plastikcontainer mit Treibstoff nach Eritrea befördern. Vieles ist in Äthiopien günstiger und einfacher erhältlich, etwa Baumaterial. Eritreer suchen zudem Arbeit in Mekele. «Wenn ich in Asmara einen Job finde, gehe ich wieder zurück», erzählt ein eritreischer Geldwechsler. Doch vorerst will er am äthiopisch-eritreischen Handel mitverdienen.

Präsident Isaias Afewerki ist freundlicher geworden. Aber sonst ist im Land nichts passiert.
Autor: Eritreischer Flüchtling

Täglich überqueren hunderte Eritreer die Grenze nach Äthiopien. Das Land beherbergt 175'000 eritreische Flüchtlinge. Viele arbeiten hier oder hoffen, dass Verwandte in Europa oder Nordamerika ihnen Geld für die Weiterreise schicken. Trotz politischem Tauwetter und Reisefreiheit scheint in Eritrea alles gleichzubleiben.

Offen ist, ob die Aufhebung der UNO-Sanktionen dem Land einen dringend benötigten wirtschaftlichen Schub geben könnte. Doch, etwas habe sich geändert, sagt der junge Eritreer mit Ziel Schweiz: «Präsident Isaias Afewerki ist freundlicher geworden.» Auf Fotos lächelt der eritreische Staatsführer nun manchmal. «Aber sonst ist im Land nichts passiert.»

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