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Trauerzeremonie für Soleimani Der iranische Volkszorn entlädt sich

Abschied vom «General der Herzen» – und «Tod Amerika»: Korrespondentin Natali Amiri über ein Land im Aufruhr.

Am Tag nach der gezielten Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani trat US-Präsident Donald Trump vor die Medien. Und richtete sich auch an das iranische Volk:

Die USA hätten den berüchtigtsten Terroristen der Welt ausgeschaltet, der auch die Iraner gepeinigt habe: «Erst vor kurzem führte er die brutale Repression an, während der über 1000 unschuldige Zivilisten von ihrer eigenen Regierung gefoltert und getötet wurden.»

Solemaini in Teheran
Legende: Soleimani war Kommandeur der Al-Kuds-Brigaden, einer Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden für extraterritoriale Einsätze. Keystone/Archiv

Tatsächlich schwelten noch im November Unruhen im Land. Über das Ausmass der Proteste drangen damals nur wenig gesicherte Informationen nach aussen. Das Regime kappte die Kommunikationskanäle und ging mit harter Hand gegen Demonstranten vor.

Heute nun marschierten die Menschen wieder. Allerdings nicht gegen das Regime, sondern in Trauer um einen seiner höchsten Repräsentanten: Hunderttausende Iraner säumten die Strassen Teherans und schlossen sich der Trauerzeremonie für Soleimani an.

«Mein Team, das für Dreharbeiten in Teheran unterwegs ist, berichtet, dass so viele Menschen wie noch nie unterwegs sind», sagt Natali Amiri. Die Iran-Korrespondentin der ARD weilt derzeit in ihrer Heimat Deutschland.

Soleimani mag ein hochrangiger Vertreter des Regimes gewesen sein. Gleichzeitig war er in der Bevölkerung äusserst populär. «Es sind unglaublich viele Menschen zusammengekommen, alle in Schwarz gekleidet. Sie trauern um den ‹General der Herzen›, wie man ihn im Iran nennt.»

Unter die Trauer mischt sich Volkes Zorn. Mässigende Stimmen suche man vergebens, so Amiri: «Selbst Menschen, die die Revolutionsgarde hassen und sie für Mord und Totschlag verantwortlich machen, sind derzeit still.»

Jetzt wird der «lebende Märtyrer», wie Revolutionsführer Ali Khamenei seinen engsten Berater nannte, zu Grabe getragen. Als vollendeter Märtyrer könnte er bald eine unheilvolle Gewaltspirale im Nahen Osten in Gang setzen.

Die schiitische Welt tobt, die sunnitischen Staaten sind nervös und der IS ist wieder auf der Bildfläche.
Autor: Natali Amiri ARD-Korrespondentin in Teheran

US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden warf Trump nach der Liquidierung des iranischen Generals vor, eine Dynamitstange in das Pulverfass Nahost geworfen zu haben. Ähnliches fürchtet auch Journalistin Amiri: «Die schiitische Welt tobt, die sunnitischen Staaten sind nervös, der IS ist wieder auf der Bildfläche.»

Provokationen und Symbolik

Die wütenden Proteste im Irak und Iran sind Beleg dafür, wie aufgeheizt die Lage ist. Die Amerikaner und Iraner überbieten sich gegenseitig mit Drohgebärden. US-Präsident Trump twitterte von 52 militärischen Zielen, die man im Iran ausgemacht habe. Eines für jede der Geiseln, die ab Ende 1979 in der US-Botschaft in Teheran festgehalten wurden.

Auch «kulturelle Ziele» sollen im Visier des US-Militärs sein – eine Provokation, die im Iran mit seinem reichen historischen Erbe viel Staub aufwirbelte. Zugleich gilt die Zerstörung von Kulturgütern laut internationalem Recht als Kriegsverbrechen.

«Es sieht überhaupt nicht nach Deeskalation aus. Die Lage ist extrem gefährlich», schliesst Amiri. Der Iran werde sich aber kaum zu irrationalen Racheaktionen hinreissen lassen. Mit einem direkten Angriff auf US-Stellungen oder auf Israel rechnet sie nicht. «So wahnsinnig ist die politische Führung im Iran nicht. Sie weiss, dass sie danach vernichtet werden würden.»

Stattdessen werde Teheran weiter auf asymmetrische Kriegsführung setzen: «Man wird versuchen, den Feind mit Nadelstichen zu zermürben. Man will die USA in einem ständigen Angstzustand belassen.»

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