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Übergangsregierung in Wien Werden die Experten zu Politikern?

Eine Woche nach der Absetzung von Bundeskanzler Sebastian Kurz hat Bundespräsident Alexander van der Bellen die Übergangsregierung vereidigt – «angelobt», wie es in Österreich heisst. Die neue Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein soll das Land bis zu den Neuwahlen im September verwalten. Die Opposition hofft, dass Bierlein und ihr Kabinett einige Entscheide der rechtskonservativen Regierung rückgängig machen werden. Zu Recht? Antworten von der Politologin Melanie Sully.

Melanie Sully

Politologin

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Die britische Politologin Melanie Sully leitet das Go-Governance-Institut in Wien.

SRF News: Sind die Hoffnungen der Opposition realistisch?

Melanie Sully: Gewisse Dinge wurden schon von der Übergangsregierung rückgängig gemacht, die nur eine knappe Woche gewirkt hat. Nämlich im Bereich der Menschenrechte und des Asylwesens. Diese Entscheide waren von einem kontroversen Innenminister der FPÖ getroffen worden.

Je länger die Übergangsregierung im Amt ist, desto schwieriger wird es sein, den Status quo zu verwalten.

Man kann erwarten, dass die Übergangsregierung in diversen Bereichen aktiv werden könnte, um internationalen Standards zu folgen. Etwa bei der Parteienfinanzierung, den Menschenrechten, der Wahlkampffinanzierung. Vielleicht könnten auch die Rauchergesetze der Kurz-Regierung gestoppt werden.

Trotzdem ist die Übergangsregierung nur drei Monate im Amt. Sollte sie sich politisch nicht zurückhalten?

Natürlich. Sie könnte aber auch länger im Amt bleiben. Ende September wird gewählt, danach bleibt die Übergangsregierung aber bis zur Bildung einer neuen Regierungskoalition im Amt. Diese Verhandlungen dauern üblicherweise sehr lange. Es könnte also bis zum Ende des Jahres oder darüberhinaus dauern, bis die neue Regierung steht.

Das Kabinett bei seiner Einweihung in Wien.
Legende: Können hochrangige Beamte die Regierungsgeschäfte politisch unabhängig «verwalten» – oder haben sie auch eine eigene Agenda? Die nächsten Monate werden es zeigen. Reuters

Je länger die Übergangsregierung im Amt ist, desto schwieriger wird es sein, den Status quo zu verwalten. Es stehen nicht nur innenpolitisch schwierige Fragen an, sondern auch europapolitisch: etwa mit Blick auf den Brexit.

Umfragen sagen dem abgesetzten Kanzler Kurz im September einen deutlichen Wahlsieg voraus. Soll und wird das die Arbeit der Übergangsregierung beeinflussen?

In der Regierung sind leitende Beamte, die unabhängig von Meinungsumfragen arbeiten. Sie müssen sehr vorsichtig vorgehen. Ansonsten droht ihnen ein Misstrauensantrag im Parlament. Es ist eine neue Situation, in der alle bemüht sind, Stabilität und Vertrauen zurückzugewinnen.

Hat eine Übergangsregierung auch eine Opposition?

Alle Parteien, die im Parlament vertreten sind, sind nun quasi Oppositionsparteien. Die Kontrollfunktion, die normalerweise über die Exekutive ausgeübt wird, sieht in dieser Übergangsphase anders aus als bei einer klassischen Regierung.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

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