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US-Wahl 2020 Politologe: «Ich glaube, es wird jetzt ein bisschen schmutziger»

Wer die Präsidentschaft gewinnt, ist weiter offen. In den entscheidenden Staaten schien zuerst Amtsinhaber Donald Trump im Vorteil zu sein, in der Nacht hat das zum Teil gedreht, und Herausforderer Joe Biden hat Michigan und Wisconsin gewonnen. Analyst Christian Lammert erklärt die Lage.

Christian Lammert

Politologe

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Christian Lammert ist Professor für nordamerikanische Politik am John F. Kennedy Institut an der Freien Universität Berlin.

SRF News: Joe Biden hat schon vor 24 Stunden zuversichtlich gesagt, er werde die Wahl gewinnen. Gibt ihm der jetzige Stand recht?

Christian Lammert: Ja, wir sehen momentan einen Trend, der ihm recht gibt. Das liegt daran, dass in den USA erst die Stimmen ausgezählt worden sind, die am Wahltag abgegeben worden sind. Die Briefwahlunterlagen werden erst später gezählt. Es ist absehbar, dass Biden bei den brieflich abgegebenen Stimmen einen deutlichen Vorsprung hat. Das sieht man jetzt: Michigan und Wisconsin konnte er drehen. In Pennsylvania holt er massiv auf. In Georgia wird es auch immer knapper für Donald Trump.

Der Sieg Bidens in den umkämpften Schlüsselstaaten ist oder war teils sehr knapp. Das Trump-Team will in Wisconsin nachzählen lassen. Kann das die Lage erfahrungsgemäss verändern?

Nachzählen ist möglich. Wenn es weniger als 0,2 Prozentpunkte wären, müsste sowieso automatisch nachgezählt werden. Bis zu einem 1 Prozentpunkt kann eine Kampagne die Nachzählung beantragen, muss sie aber selbst bezahlen. Das wird in Wisconsin ungefähr 3 Millionen Dollar kosten.

Der Wahlkampf hat gezeigt, dass die Richter sich an die Gesetze halten, auch die Richter, die er nominiert hat und dass auch sie nicht politisch agieren.

Aber damit hat Trump wahrscheinlich keine Probleme. Aber die Geschichte zeigt, dass es nichts gebracht hat bis jetzt. Alle Nachzählungen haben das Ergebnis bestätigt.

Endergebnisse bis am 8. Dezember

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Die Hängepartie könnte sich etwa einen Monat hinziehen: Die Bundesstaaten müssen ihre Endergebnisse bis zum 8. Dezember beglaubigen und nach Washington melden. Diese Frist, als «safe harbor» bezeichnet (dt. sicherer Hafen), war zum Beispiel im Jahr 2000 bei Gores Entscheidung, seine Niederlage einzuräumen, entscheidend.

Sollte es über die Frist hinaus weiter Streit geben, könnte es recht kompliziert werden. Wirklich aufatmen dürften die Amerikaner daher wohl erst nächstes Jahr: Am 20. Januar muss der nächste Präsident vereidigt werden, so schreibt es das Gesetz vor.

Ein weiterer wichtiger Staat ist Pennsylvania, da wird noch gezählt, und da will Trump einen Auszählungsstopp auf dem Rechtsweg erzwingen. Darf er das?

Ich bin pessimistisch, dass er damit irgendwelchen Erfolg haben wird. Es gibt Wahlgesetze in Pennsylvania. Die regeln, dass die Wahlzettel berücksichtigt werden, die bis zum Wahltag eingegangen sind, einen Poststempel haben und bis am Freitag um eine bestimmte Uhrzeit eingegangen sind. Diese Rechtslage ist eindeutig.

Trump wird kein Gericht finden, das das infrage stellt. Er hofft darauf, dass seine konservativen Richter ihm zur Seite stehen, aber der Wahlkampf hat gezeigt, dass die Richter sich an die Gesetze halten, auch die Richter, die er nominiert hat und dass auch sie nicht politisch agieren.

Würde diese Aktion Trump retten?

Wenn Biden noch Nevada und Arizona gewinnt, hat er die Präsidentschaft sicher. Er liegt zurzeit in beiden Staaten vorne. Pennsylvania wird ihm tendenziell auch zugerechnet, und wenn er Georgia gewinnt, hat er noch andere Optionen. Momentan hat Biden zwei, wenn nicht gar drei Wege zur Präsidentschaft. Trump hingegen muss alles gewinnen, um überhaupt noch eine Möglichkeit zu haben.

Fazit: Die Wahl ist noch nicht entschieden, Joe Biden liegt vorne, aber Donald Trump behält sich rechtliche Schritte vor. Was können wir bis zum offiziellen Resultat noch erwarten?

Momentan fängt die Schmierkampagne der Trump-Administration an, es werden Mails verschickt, es wird getweetet, dass die Anhänger zurückschlagen sollen. Wir sehen auch schon erste Proteste vor den Wahlauszählungsstellen.

Ich glaube, es wird jetzt ein bisschen schmutziger. Das Szenario, das man schon für den Wahltag befürchtet hat, wird jetzt kommen, weil die Trump-Administration nicht einsehen kann und nicht einsehen will, dass sie diese Wahl knapp verlieren wird.

Das Gespräch führte Isabelle Maissen.

SRF 4 News, 05.11.2020; 07:00 Uhr ; 

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