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Video aus Uiguren-Lager «Pekings Umerziehungssystem wird weiter mit Menschen gefüttert»

Die BBC hat ein Video aus einer chinesischen Umerziehungsanstalt für Uiguren in der Provinz Xinjiang veröffentlicht. Den Film hat der 31-jährige Uigure Merdan Ghapar heimlich aufgenommen. Er müsse mit schweren Konsequenzen rechnen, sagt der deutsche Anthropologe und Uiguren-Spezialist Adrian Zenz. Er war an der Auswertung des Videomaterials beteiligt.

Adrian Zenz

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Adrian Zenz ist ein deutscher Anthropologe und Sinologe. Als einer der ersten Forscher legte er Belege vor, dass China Hunderttausende Uiguren in Umerziehungslager zwingt.

SRF News: Was können Sie auf dem Video von Merdan Ghapar erkennen?

Adrian Zenz: Man sieht einen uigurischen Mann in einem Raum. Es ist keine Gefängniszelle, aber der Raum ist nur sehr spärlich ausgestattet. Vor den Fenstern sind Gitter. Der Mann ist mit einer Handschelle an das Bett gefesselt. Er kann aus dem Fenster auf eine Wohnanlage schauen, die sich in unmittelbarer Nähe befindet. Auch dort sind alle Fenster vergittert.

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Wenn sich der Mann nicht im Gefängnis befindet – wo ist er dann?

Er sagt, dass er in einem Gesundheitszentrum sei und unter Quarantäne stehe, weil bei ihm eine leicht erhöhte Körpertemperatur gemessen wurde. Er habe sich zuvor mit 50 anderen Gefangen in einer Gefängniszelle befunden. Dort seien alle an Händen und Füssen gefesselt gewesen. Die anderen Gefangenen seien abtransportiert worden, während er ins Gesundheitszentrum überführt worden sei, sagt Merdan.

Merdan nimmt mit dem Video ein beträchtliches Risiko auf sich. Wie wichtig ist dieses Video?

Die Sorge war gross, dass sich die Corona-Pandemie in Xinjiang besonders stark ausbreiten könnte, weil dort sehr viele Menschen in Internierungslagern eingesperrt sind. Viele arbeiten auch dicht gedrängt in Fabriken. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was in dieser chinesischen Region genau passiert.

Viele sind eingesperrt in Internierungslagern, andere arbeiten dicht gedrängt in Fabriken.

Das vorliegende Video zeigt, dass Merdan unter Quarantäne an sein Bett gefesselt ist. Im Video sind ausserdem zahlreiche Textnachrichten zu sehen, in denen Medan Details des Haftalltags preisgibt – etwa, wie streng jene bestraft wurden, die die Quarantäne verletzt haben.

Praxis der «Umerziehung»

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Obwohl Merdan ein völlig weltliches Leben führte und als Fotomodell im Osten Chinas arbeitete, wurde er von der Polizei in seine uigurische Heimat zurückgerufen, um in ein Umerziehungslager eingewiesen zu werden. Diese Praxis nennt Zenz «leider nichts als konsequent». Die chinesische Regierung in Peking erzähle der Welt das eine, tue in Xinjiang aber das andere. Zenz weiss: «In den Umerziehungslagern und Haftanstalten befinden sich sehr viele gut in die chinesische Gesellschaft integrierte Menschen wie Ärzte, Forscher oder Akademiker.» Das Ziel sei, ihre Loyalität gegenüber den Han-Chinesen zu prüfen. «Sämtliche Uiguren müssen dieses Vertrauen zuerst unter Beweis stellen», so Zenz. In der Umerziehung würden sie auch ein Stück weit gebrochen. «Es wird ihnen widerspruchsloser Gehorsam eingetrichtert.» Eine solche Umerziehung müsse praktisch jeder Uigure durchmachen.

Merdan war demnach zuvor in einer anderen Haftanstalt – was wissen Sie darüber?

Er war in Ostchina, wurde aber von der Polizei nach Xinjiang zurückgerufen. Ihm wurde gesagt, er müsse «studieren» – eine geschönte Bezeichnung für die Umerziehung. Er wurde dann in seiner Heimatstadt Kuqa in eine Haftanstalt gesteckt, in der er auch das Video gemacht hat.

Es gibt Hunderte Zeugenaussagen, dass Geständnisse so durch Folter erzwungen wurden.

Dies zeigt uns, dass das chinesische System der Umerziehung und der extralegalen Internierung weitergeführt und immer weiter gefüttert wird. Merdan ist ein Beispiel für diese Praxis – mit der Besonderheit, dass er auf der Krankenstation eine Zwangsquarantäne durchmachen muss.

Himmel und Vogel in blauem Himmel auf den Toren, davor Wächter.
Legende: Zur Tarnung werden manche Eingänge zu Umerziehungslagern mit schönen Bildern geschmückt, wie hier in Huocheng in der Nähe der Grenze zu Kasachstan. Reuters

Merdan berichtet von Folter im Gefängnis. Ist das quasi Standard in diesen Einrichtungen?

Leider ja. Es gibt Hunderte Zeugenaussagen, dass Geständnisse so erzwungen wurden. Diese Haftanstalten sind dazu da, um festzustellen, was mit den Menschen geschehen soll: ob sie vor Gericht gestellt werden, in ein Umerziehungslager kommen oder freigelassen werden.

Eine Million internierte Uiguren

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Laut der UNO sind mindestens eine Million Angehörige der Volksgruppe der Uiguren – insgesamt leben rund zehn Millionen Uiguren in China – und andere Muslime in China in Lagern interniert. Gemäss der in Washington ansässigen Gruppe East Turkistan National Awakening Movement (ETNAM) werden die Uiguren an über 450 Orten festgehalten. ETNAM will die geografischen Koordinaten von rund 180 Lagern ausfindig gemacht haben, in denen Uiguren zum Verzicht auf ihre Kultur gezwungen werden. Zudem seien sie auf rund 200 weitere mutmassliche Gefängnisse sowie rund 70 mutmassliche Arbeitslager gestossen. Die Aktivisten setzen sich für die Unabhängigkeit der grösstenteils muslimischen Region Xinjiang ein.

Peking wies in der Vergangenheit stets jegliches Fehlverhalten zurück und betrachtet die Vorgänge in der entlegenen Provinz Xinjiang als innenpolitische Angelegenheit. China bezeichnet die Einrichtungen, in denen die Uiguren festgehalten werden, als «Berufsbildungszentren». Sie sollen darauf abzielen, die Bedrohung durch den islamischen Extremismus einzudämmen. (Agenturen)

Was droht Merdan nach der Veröffentlichung der Videoaufnahmen?

Bestenfalls muss er für längere Zeit in die Umerziehung, schlimmstenfalls kommt er in eine der besonders schlimmen Haftanstalten. Zeugen beschreiben diese in dem Sinne, dass sich die Inhaftierten lieber den Tod wünschen, als dort leben zu müssen.

Das Gespräch führte Janis Fahrländer.

SRF 4 News, 7.8.2020, 06.45 Uhr ; 

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