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Vom Primus zum Schlusslicht Trotz erfolgreichem Impfen in Chile – die Neuinfektionen steigen

Das südamerikanische Land hat eine der höchsten Impfraten der Welt. Die Zahl der Neuinfektionen ist jedoch auf einem Höchstwert wie nie zuvor in der Pandemie. Nun verschärft die Regierung wieder die Schutzmassnahmen.

Eigentlich dachten viele Menschen in Chile, die Coronakrise nähere sich in ihrem Land dem Ende, denn die chilenische Impfkampagne galt als Erfolgsgeschichte: Mehr als ein Viertel der Menschen in Chile sind geimpft. Damit liegt das Land weit vor anderen in Südamerika und auch vor europäischen Staaten. Doch trotz einer der höchsten Impfraten weltweit registriert Chile so viele Neuinfektionen wie nie zuvor in der Pandemie. Die Auslastung der Intensivbetten liegt bei über 90 Prozent.

Der Regierung wird nun vorgeworfen, sie habe lange zu einseitig auf Impfungen gesetzt. Chiles Gesundheitsminister Enrique Paris hat nun bei seinen täglichen Covid-Medienkonferenzen einen düsteren Ton angeschlagen. Das Land befinde sich in einem kritischen Moment der Pandemie. «Nach wie vor sterben in Chile jeden Tag mehr als 100 Menschen an den Folgen des Coronavirus, und das bedauern wir sehr. Wir begleiten diese Familien, die ihre Angehörigen verloren haben. Wir senden ihnen allen unser Beileid,» sagte Paris sichtlich schockiert.

Hat Regierung zu spät reagiert?

Die Zahl der Covid-19 Verstorbenen hat sich seit Januar verdoppelt. Die Zahl der täglichen Fälle ist so hoch wie noch nie, die Intensivstationen sind überlastet. Dabei galt die Impfstrategie der chilenischen Regierung als eine der konsequentesten und effektivsten überhaupt. Was ist schiefgelaufen?

Kritiker werfen der Regierung vor, dass sie zu spät reagiert, beziehungsweise die Lockdown-Massnahmen zu früh gelockert habe. Dies habe zu einer raschen Verbreitung des Virus und seiner Varianten geführt. Der Professor für öffentliche Gesundheit an der Universität von Santiago, Claudio Castillo sagte im chilenischen Fernsehen: «Der Impfstoff wird einerseits zu einem Ausweg aus diesem grossen Problem, aber er wird auch zur Ursache eines anderen Problems. Die Kommunikation der Regierung, dass wir das Land sind, das am schnellsten impft, hat die Bevölkerung zu einer gewissen Sorglosigkeit verleitet.»

Maskenpflicht und Abstandsregeln vernachlässigt

Die Regierung hat zudem bereits letzten November Restaurants, Geschäfte und Ferienorte wieder geöffnet, um die strauchelnde Wirtschaft anzukurbeln. Zu diesem Zeitpunkt waren erst Angestellte des Gesundheitswesens, Menschen über 90 sowie Lehrerinnen und Lehrer geimpft. Die grosse Mehrheit der Chilenen war also noch nicht geimpft, als das Land grosse Freiheiten genoss.

Damit ist nun vorerst Schluss. Grenzen und Geschäfte sind geschlossen. Der Lockdown beinhaltet harte Ausgangssperren, Bewegung an der frischen Luft ist nur zwischen 6 und 9 Uhr morgens erlaubt. Notwendige Einkäufe: zweimal in der Woche – aber nur mit einer Sondererlaubnis.

Ist SinoVac zu schwach?

«Die Kritik an der Regierung ist legitim, aber lassen wir sie für den Moment ruhen und kümmern uns um die Pandemie. Halten Sie sich an die Massnahmen, damit wir wieder ein angenehmeres Leben führen können. Worauf wir alle warten,» erklärte Paris.

Ein weiterer Hinweis, warum die Zahl der Corona-Fälle in Chile immer noch ansteigt, ist die Vermutung, dass der chinesische Impfstoff SinoVac wohl nur zu 50 Prozent vor einer Ansteckung schützt. Zu diesem Schluss kamen brasilianische Studien und eine Studie der Universität Chile. Und genau dies ist der Impfstoff, den in Chile rund 90 Prozent der Geimpften erhalten haben.

Echo der Zeit, 20.02.21, 18:00 Uhr

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