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Wahlen in Tschechien Die EU gibt's, die EU nimmt's

Die Wirtschaft wächst, die Löhne steigen – trotzdem gibt es Unzufriedene. Ein Besuch in der südböhmischen Kleinstadt Budweis, wo nicht nur das Bier Kopfschmerzen bereitet.

Das Bier von Budweis ist weltberühmt. Doch es macht Kopfschmerzen, sagen inzwischen sogar die Bewohner von Budweis. Stolz sind sie längst auf anderes. Auf die renovierten Gassen der Altstadt, das herausgeputzte barocke Rathaus und den Puls einer vibrierenden Kleinstadt. Budweis ist in den letzten Jahren aufgeblüht.

Budweiser Fabrik in Budweis
Legende: «Budweiser»: Jahrelang stritten sich der US- und der tschechische Hersteller um die Rechte am gleichnamigen Gebräu. Keystone

Die Uni zieht Studenten an; viele wollen nach dem Abschluss hier bleiben. Um das Zentrum herum entstanden ein Speckgürtel und schicke neue Siedlungen. Erwirtschaftet wird der Wohlstand im äussersten Kreis, der Industriezone. Etwa bei der Firma Mosled von Pavel Zima:

Einmal nur haben wir einen Kredit aufgenommen, sonst haben wir alles aus eigener Kraft aufgebaut.
Autor: Pavel Zima

Zima hat vor 21 Jahren mit drei Mitarbeitern angefangen. Heute stellen 100 Beschäftigte in seinem Betrieb Modelle von Maschinenteilen her. Riesige Motorengehäuse aus Holz zum Beispiel oder kleine Turbinen aus Gummi. Damit produzieren seine Kunden – die Hersteller von Schiffsmotoren, Zügen oder Kraftwerken – dann die echten Teile.

Das wirtschaftliche Umfeld war sehr gut, sagt Zima, bis vor drei Jahren. Da kippte die Sache, und der Fachkräftemangel fing an.

«Zu wenige» Arbeitslose für Subventionen

In Budweis fiel die Arbeitslosigkeit damals unter fünf Prozent. Gut für die Stadt, schlecht für Zima. Denn in Regionen unter dieser Grenze verteilt der tschechische Staat keine – von der EU mitfinanzierten – Subventionen mehr an Unternehmen wie Mosled. Nur: Ein grosses ausländisches Unternehmen, dessen Name er nicht nennen möchte, werde immer noch subventioniert: «Die saugen alle qualifizierten Leute ab, denn wegen der Subventionsmillionen können sie bessere Löhne bezahlen.»

Er habe so zwei erfahrene, hochqualifizierte Leute verloren in den letzten drei Jahren und sie nur durch Uni-Abgänger ersetzen können. Tatsächlich können ausländische Unternehmer hier immer noch Subventionen bekommen – aber nur, wenn sie in Innovation investieren. Wenn sie also nicht nur Arbeitsplätze bringen, sondern auch Knowhow. Pavel Zima findet das dennoch gefährlich:

In der Schweiz, in Österreich, in Deutschland – überall sehe ich, dass die KMUs das Rückgrat der Wirtschaft sind. Doch bei uns werden Grossbetriebe unterstützt, die zehntausende Teile für die Autoindustrie produzieren.
Autor: Pavel Zima

Tschechische Unternehmen hingegen verschwänden, sagt er, weil sie aufgeben oder aufgekauft würden. Auch ihm wurden schon Kaufangebote gemacht. Er lehnte sie ab: «Ich bin kein Nationalist. Aber Tschechien muss jetzt wirklich vorsichtig sein und seine KMUs unterstützen.»

Ausländische Grosskonzerne markieren Präsenz

Der Vizebürgermeister von Budweis, Jaromír Talíř , kann die Klagen des Unternehmers zum Teil verstehen: «Aber die Stadt kann da nichts machen. Das ist der Arbeitsmarkt. Wir haben selber Mühe, noch Chauffeure für unsere Trolleybusse zu finden», sagt Talíř. Die grossen ausländischen Arbeitgeber seien wichtig für Budweis. Denn sie schufen Arbeitsplätze und haben so zum neuen Wohlstand beigetragen.

Etwa der deutsche Autozulieferer Bosch, das grösste Unternehmen in Budweis mit inzwischen über 3000 Angestellten. «Mit dem Chef von Bosch arbeiten wir eng zusammen bei der strategischen Planung der Stadt», sagt der Vizebürgermeister.

Die ausländischen Unternehmen sind nicht mehr wegzudenken. Also versucht man sie zu Partnern zu machen. In der Verkehrsplanung, aber auch in der Bildungspolitik. Mit der Privatindustrie zusammen will man etwa zukunftsträchtige Forschungszweige an der Uni von Budweis stärken, was dann wiederum interessante Unternehmen anziehen soll.

Produktionsstätte in Budweis
Legende: Erst diesen Sommer weihte etwa der deutsche Metallverarbeiter Kern-Liebers eine Produktionsstätte in Budweis ein. IMAGO

Die Werkbank der Deutschen und Franzosen

Der Gewerkschafter Petr Janousek beobachtet eine andere Entwicklung: «Ende letzten Monats kam in unserer Baufirma eine Gruppe von 23 Ukrainern an.» Man holt jetzt, so seine Sorge, Arbeitskräfte aus andern Ländern, die für einen noch tieferen Lohn arbeiten als Tschechen.

«Unsere Hauptaufgabe derzeit ist es, das nicht zuzulassen», sagt der Gewerkschafter. Denn der Wohlstand ist seines Erachtens noch nicht richtig durchgesickert bis zu den Arbeitern.

Ausländische Firmen würden sich hier sehr billig einkaufen, sie bekämen Subventionen und Steuergeschenke und gute Arbeitskräfte. Doch was ein Arbeiter in Deutschland verdiene, das teilten sich bei uns immer noch dreieinhalb Arbeiter.

Genug Arbeit, doch die Gewinne fliessen ab

Der Gewerkschafter will endlich mehr Geld sehen. In den Portemonnaies der Arbeitnehmer – aber auch in den Staatskassen. Denn da ist noch eine zweite Sache, die ihn umtreibt: Der Kapitalabfluss aus Tschechien.

Allein letztes Jahr seien laut Berechnungen der Gewerkschaftsökonomen umgerechnet über 13 Milliarden Franken in Form von Dividenden aus Tschechien ins Ausland geflossen, vor allem nach Deutschland und Frankreich. Und weitere 11 Milliarden hätten die tschechischen Tochterfirmen ihren ausländischen Müttern für Beratung und dergleichen bezahlt.

Kurz: Man hat jetzt zwar Arbeit, aber den Gewinn machen andere. Das ist das Gefühl, das in Tschechien die Unzufriedenheit schürt und die Skepsis gegenüber der EU. Trotz Vollbeschäftigung und trotz Wachstum.

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