Das «Ibiza-Video» hat in Österreich ein veritables politisches Erdbeben ausgelöst: Es zeigte den damaligen Vizekanzler und Chef der rechts-populistischen FPÖ, wie er im Gespräch mit einer vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen wenig Respekt vor Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit zeigt. Die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz aus ÖVP und FPÖ zerbrach, ein Misstrauensvotum brachte sie ganz zu Fall.
Nun befindet sich Österreich im Wahlkampf, und dieser ist alles andere als zimperlich. Das Skandalvideo habe den Regierungsparteien aber offensichtlich nicht geschadet, meint der renommierte Journalist Christian Rainer.
SRF News: Wie würden Sie den Wahlkampf in Österreich mit wenigen Worten beschreiben?
Christian Rainer: Tief. tiefer, am tiefsten. Für eine westliche Demokratie ist der Beginn dieses Wahlkampfes relativ unüblich und wir erwarten, dass es noch schlimmer wird. Online werden die verrücktesten Verdächtigungen gegenüber allen Beteiligten ausgesprochen.
Es gab ja auch in der Vergangenheit bereits Wahlkämpfe, welche mit harten Bandagen geführt wurden. Würden Sie sagen, dass es diesmal anders ist?
Der Unterschied ist, dass durch das Internet und die Möglichkeiten von Social Media die Emotionen schneller rauskommen, höher gehen und lauter sind. Und natürlich, dass der Wahlkampf durch jenes berühmt berüchtigte «Ibiza-Video» ausgelöst wurde.
Das Eigenartige ist, dass die FPÖ möglicherweise wieder in der Regierung sitzen wird.
Wenn das der Ausgangspunkt eines Wahlkampfs ist und wenn heute die gestürzte Partei wieder bei über 20 Prozent in den Umfragen liegt, darf einem das nicht wundern. Es gibt jene, die sich genieren für das, was in Österreich geschieht.
Haben die Menschen in Österreich genug?
Ich fürchte, eben nicht. Wenn die Menschen im Land genug hätten, hätte jene radikale rechte Partei nicht wieder fast 25 Prozent des Elektorats. Das Eigenartige ist, dass die FPÖ trotz dieses unglaublichen Videos möglicherweise wieder in der Regierung sitzen wird.
Der ehemalige Kanzler Sebastian Kurz schliesst eine erneute Koalition mit den Freiheitlichen nicht aus. Fehlende Lernfähigkeit oder kluges politisches Taktieren?
Weder noch. Es wird schwierig sein, eine andere Konstellation herbeizuführen. Bei einer Wahl von Kurz würden zwei Möglichkeiten bleiben: Wieder mit der FPÖ oder mit der Sozialdemokratie. Das Klima zwischen der Sozialdemokratie und der ÖVP war vorher schon sehr zerrüttet. Während der Regierungszeit der letzten eineinhalb Jahre ist dieses Klima nicht besser geworden. Es fehlt eine Alternative.
Die Partei von Sebastian Kurz, die ÖVP, führt die Umfragen an. Heisst das auch, dass die Österreicher es ihm nicht übel nehmen, dass er mit der FPÖ eine Regierung gebildet hat, die gescheitert ist?
Wenn man es jemandem übel nehmen könnte, dann eher der Sozialdemokratie, welche in den Umfragen verloren hat. Wenn ich es richtig im Kopf habe, sind rund 60 bis 65 Prozent der Bevölkerung dafür, dass es wieder jene konservativ Koalition geben soll.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.