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Weltweit wird aufgerüstet Ein vorsichtig pessimistischer Blick in die atomare Zukunft

Wendy Sherman trieb jahrelang die Abrüstung voran, etwa mit Iran und Nordkorea. Nun blickt sie sorgenvoll in die Welt.

Die Spitzendiplomatin Wendy Sherman neigt eigentlich nicht zu plakativen Zuspitzungen. Am Ende des Gesprächs äussert sie aber einen knappen Satz, der es auf den Punkt bringt: «Wir leben zurzeit in der schlechtestmöglichen Welt.» Zwar dürfte niemand ein Interesse an einem neuen nuklearen Rüstungswettlauf haben. Doch genau darauf läuft es zurzeit hinaus.

Alle Hoffnungen aufgegeben hat sie aber nicht. Doch ihre Erwartungen sind bescheiden geworden. Etwa für den bevorstehenden zweiten Gipfel zwischen Donald Trump und Kim Jong-Un. Trump empfinde eine Art Männerfreundschaft mit Kim.

Fragezeichen Nordkorea

Erfreulich sei, dass Nordkorea die Raketentests unterbrochen habe: «Pjöngjang braucht sie aber gar nicht mehr, denn es kann sie inzwischen virtuell am Computer durchführen.» Gespräche seien gewiss besser als Krieg zu führen. Doch derweil baue Nordkorea seine Atom- und Raketenarsenale nicht ab, sondern aus: «Messbare Fortschritte brachte das Tauwetter bisher keine», urteilt Sherman.

Einflussreiche Unterhändlerin

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Geht es um Atombomben, kommen Frauen kaum vor. Sherman ist eine von ganz wenigen. Sie wird als hartnäckig und mutig beschrieben. Unter US-Präsident Bill Clinton verhandelte sie mit dem Kim-Regime in Nordkorea über Abrüstung.

Präsident Barack Obama machte sie gar zu seiner Chefunterhändlerin mit dem Iran. Vier Jahre lang verhandelte sie mit Teheran. Heute lehrt sie in Harvard, und bietet, zusammen mit Ex-Aussenministerin Madeleine Albright und in deren Firma, Strategieberatung an.

Ähnlich düster sieht es beim Atomvertrag mit dem Iran aus. Hier setze Trump voll auf Konfrontation. Das Atomabkommen, das auch ihr Baby ist, zu kündigen, sei falsch gewesen. Obwohl Sherman selber den Iran im Nahen Osten als böswilligen Akteur sieht, den man stoppen müsse: «Doch die Kündigung des Vertrags ist nicht der richtige Weg, solange sich der Iran an ihn hält.»

Kräftemessen der Grossmächte

Zu den Problemen mit Nordkorea und Iran kommt die Kündigung des INF-Vertrags über atomare Mittelstreckenraketen, zunächst durch die USA und darauf durch Russland. Moskau habe diesen Vertrag gebrochen, sagt Sherman. Bloss: Wenn ein Gesetz missachtet werde, werde dieses doch nicht einfach abgeschafft. Man versuche, es besser durchzusetzen.

Sie bedauert zutiefst, dass die Trump-Regierung den Vertrag kippt und derzeit jegliche Rüstungskontrolle ablehnt: «Die einzige Chance besteht darin, zu versuchen, ein neues, weltumspannendes INF-Abkommen zu schliessen.» Eines, das auch China einschlösse, das ein grosses Arsenal an atomaren Mittelstreckenraketen aufgebaut hat.

China reibt sich die Hände

Bloss die Wahrscheinlichkeit, dass dies angesichts des weltpolitischen Klimas gelingt, schätzt sie als verschwindend klein ein. China wolle nicht mitmachen, lasse sich nicht die Hände binden und schaue genüsslich zu, wie die USA und Russland in der Atomfrage auf Konfrontationskurs gehen.

Derart, dass selbst das «New-Start»-Abkommen über atomare Langstreckenwaffen, das 2021 ausläuft, akut gefährdet ist. Zwar höre man vom Weissen Haus wie vom Kreml, man sei bereit, über eine Verlängerung zu reden. Was die lauwarmen Beteuerungen bedeuten, stehe aber in den Sternen.

Klar ist hingegen für Sherman, wer das Hauptopfer und der Hauptschauplatz dieses Atomkonflikts der Grossmächte ist: Europa. Doch zu sagen habe Europa dazu so gut wie nichts.

Plädoyer für internationale Verträge

Abrüstungsverträge werden missachtet, gekündigt, um neue wird nicht ernsthaft gerungen. Bleiben der alte Atomsperrvertrag und das neue UNO-Abkommen, das Atomwaffen für illegal erklärt, das aber just von den Atommächten nicht unterzeichnet wurde. Sind diese Verträge toter Buchstabe?

Nein, findet die US-Diplomatin: Würde man nun auch noch diese Abkommen über Bord werfen, gäbe man der weltweiten atomaren Aufrüstung wirklich grünes Licht. Selbst ohne ein solches Signal sei die Entwicklung bedrohlich genug.

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