Zum Inhalt springen

Wer folgt auf Merkel? Die einzige Chance der SPD

«Gemeinsam». Auffallend oft, bestimmt an die 20 Mal, fiel dieses Wort während der SPD-Pressekonferenz zur Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz. «Gemeinsam» gehe die Partei diesen Weg, «gemeinsam» wolle sie weiterregieren, «gemeinsam» wolle sie die Pandemie bezwingen und die Zeit danach gestalten.

Noch vor einem halben Jahr wirkte die SPD alles andere als geschlossen. Stattdessen hatte die Wahl der neuen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans einen tiefen Graben in den Reihen der Sozialdemokraten hinterlassen.

Durchgesetzt hatten sich die zwei politischen Leichtgewichte – bis zu ihrer Wahl praktisch unbekannt auf nationaler Bühne – allein deshalb, so schien es, um ein «Weiter so» unter Olaf Scholz zu verhindern. Scholz, immerhin Vizekanzler und Finanzminister, war gedemütigt, geknickt, am Boden.

Jetzt doch noch

Kein Vergleich zu heute. Leidenschaftlich und kämpferisch wie lange nicht mehr meldet er sich zurück auf der ganz grossen Bühne. Er will Kanzler werden, und die Partei scheint geschlossen hinter ihm zu stehen. Jetzt doch noch.

Die internen Zwistigkeiten, die Selbstfindung, ja Selbstzerfleischung haben der SPD geschadet. Die Umfragewerte blieben auch mit dem neuen Spitzenduo tief, von «Aufbruch» war wenig zu spüren. Höchstens ein paar hitzige Shitstorms löste die neue Vorsitzende Saskia Esken aus – ihr und ihrem Kollegen Walter-Borjans wollte der grosse Schuh nicht recht passen.

Nun haben sie sich mit Olaf Scholz ausgesöhnt, demonstrieren Einigkeit. Oder vielleicht eher umgekehrt? Scholz scheint den beiden die zugefügte Schmach verziehen zu haben. Wer will denn noch das ungeliebte und schwierige Amt des Parteivorsitzenden, wenn's auch ohne zum Kanzler reicht.

«Ich will gewinnen»

Scholz ist angekommen, wo er hinwollte. Er ist das stärkste Pferd im Stall der SPD, konnte als Finanzminister und Vizekanzler in der Coronakrise auftrumpfen, mit «Wumms» Milliarden verteilen und ist der beliebteste Sozialdemokrat des Landes.

Will die SPD tatsächlich eine Regierung anführen – bis dahin ist es ein weiter Weg – hat sie kaum eine Alternative zu Scholz. Seine Erfahrung und Reputation innerhalb und ausserhalb der Partei sind unerreicht. Und Scholz will gewinnen, daran lässt er keinen Zweifel. Mit der zweiten Reihe gibt er sich nicht mehr zufrieden.

Harsche Reaktionen der Gegner

Regieren – doch mit wem? Eine weitere Grosse Koalition scheint ausgeschlossen, und für ein Bündnis mit den Grünen und der Linken reicht es im Moment bei Weitem nicht. Ganz zu schweigen davon, dass die Grünen in Umfragen vor der SPD liegen – wenn auch nicht mehr allzu deutlich. Bis zur Wahl in gut einem Jahr liegt viel Arbeit vor den Sozialdemokraten.

Dass ihre Ambitionen dennoch nicht im Land der Träume liegen, lassen die harschen bis spöttischen Reaktionen einiger politischer Gegner erahnen: Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident und Favorit als Kanzlerkandidat der Union, nannte Scholz' Kandidatur zum jetzigen Zeitpunkt «verheerend», mitten in der Pandemie. Gelassenheit klingt anders.

Dabei liegt die Union aus CDU/CSU bei Umfragewerten an die 40 Prozent, davon kann die SPD nur träumen. Doch heute haben die Genossinnen und Genossen ihre Gegner überrumpelt: Scholz kann nun das Rampenlicht exklusiv nutzen, lange bevor die Union im Dezember ihren Kandidaten kürt. Der Wahlkampf 2021 ist eröffnet.

Bettina Ramseier

Deutschland-Korrespondentin, SRF

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Bettina Ramseier ist SRF-Korrespondentin in Berlin. Sie ist seit 15 Jahren TV-Journalistin: Zuerst bei TeleZüri, danach als Wirtschaftsredaktorin bei SRF für «ECO», die «Tagesschau» und «10vor10».

SRF 4 News, 10.08.2020, 12.00 Uhr

Meistgelesene Artikel