Als US-Aussenminister Rex Tillerson kürzlich in einem Regierungsflugzeug mit Journalisten sprach, sagte er etwas, das beruhigend wirken sollte: «Die Amerikaner können ruhig schlafen. Trotz der schrillen Rhetorik der vergangenen Tage müssen sie sich nicht vor Atombomben fürchten.»
Tillersons Aussage irritierte eher als dass sie besänftigte. Denn die Amerikaner, und nicht nur sie, rechneten in den vergangenen Jahrzehnten kaum mehr ernsthaft mit dem Einsatz von Nuklearwaffen. Selbst in der Spätphase des Kalten Kriegs hielt man das für praktisch ausgeschlossen. Und jetzt auf einmal verabreicht der Aussenminister dem Volk Baldrian. Das lässt aufhorchen.
Risiko eines atomaren Holocausts
«Die Gefahr steigt, dass die Welt in einen atomaren Holocaust stolpert», warnt Professor Jonathan D. Pollack. Er ist einer der erfahrensten und einflussreichsten Strategieexperten der USA. Pollack lehrte an der Marineakademie in Newport und arbeitet heute für die Denkfabrik Brookings . Er ist nicht der einzige, der sich Sorgen macht. Andere Nuklearexperten und frühere US-Regierungsberater tun dies ebenfalls.
Es sei höchste Zeit, dass die Vereinigten Staaten die Art und Weise, wie ein Atomschlag ausgelöst wird, reformierten, fordert Pollack. Dies sei im Übrigen ganz unabhängig vom aktuellen Hausherrn im Weissen Haus dringend nötig, auch wenn Trumps Präsidentschaft seinen Überlegungen Nachdruck verleihe.
Problematisch war unter anderem auch schon die Präsidentschaft von Richard Nixon, der trank und als paranoid galt. Es sei weder nötig noch vernünftig, vielmehr äusserst gefährlich, wenn eine einzige Person über einen nuklearen Erstschlag entscheide, sagt Pollack.
Gremium müsste Atomschlag anordnen
Pollack will eine derart gravierende Entscheidung auf eine breitere Basis stellen. Der Vizepräsident, der Verteidigungsminister, der Generalstabschef und die Führer der Republikaner und Demokraten im Kongress müssten einbezogen werden. Nur wenn sie alle einverstanden seien, würde ein Atomangriff ausgelöst.
Ein solcher Beschluss dürfe nur unter allerextremsten Umständen gefällt werden. Es müsse deshalb um jeden Preis verhindert werden, dass ein einzelner Mensch etwas entscheide, das für die ganze Welt verheerende Folgen hätte. Schliesslich stehe dieser unter Stress, handle vielleicht überstürzt, allenfalls im Affekt oder unter Alkohol- oder Medikamenteneinfluss.
Schwieriger wird die Situation jedoch, wenn es nicht um einen nuklearen Erstschlag geht, sondern um einen Gegenschlag . Wenn also die USA atomar angegriffen würden, etwa vom Regime in Pjöngjang. Denn dann herrscht extremer Zeitdruck. Eine nuklear bestückte nordkoreanische Langstreckenrakete erreicht die US-Westküste innerhalb von gut dreissig Minuten.
Für Gegenschlag bleibt kaum Zeit
Zwar sind der schwarze Lederkoffer, der auch «nuklearer Fussball» genannt wird, sowie das kreditkartengrosse «nukleare Biskuit» mit den Kodes für die Auslösung ständig beim Präsidenten. Beide Utensilien bilden zusammen den sagenumwobenen «Roten Knopf».
Dennoch bleiben im Fall eines möglichen Gegenschlags nur gut zehn Minuten zum Überlegen. Weil das ganze Verfahren streng geheim ist, ist unklar, ob in den Entscheidungsprozess sonst noch jemand involviert ist. «Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass der Verteidigungsminister und der Generalstabschef zumindest konsultiert würden», vermutet Pollack.
Trotz des Zeitdrucks fordert der Professor auch hier eine etwas breitere Abstützung. Wenngleich eine Diskussion in einem grösseren Kreis, samt den Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern, im Fall eines möglichen Gegenschlags undenkbar ist.
Für Pollack ist auch klar, dass jede Änderung an dem Prozedere, die eine amerikanische Antwort auf eine Attacke verzögern würde, chancenlos ist. Hingegen spürt er Unterstützung von demokratischen und republikanischen Parlamentariern für den von ihm und Gleichgesinnten lancierten Reformvorschlag. Das Bewusstsein wachse, dass man da ein Problem habe. Ein gewaltiges.