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Zusammenarbeit mit Erdogan EU reist mit Zuckerbrot und Peitsche in die Türkei

EU-Spitzenvertreter besuchen Erdogan. Sie locken mit Wirtschaftsangeboten und drohen gleichzeitig mit Strafmassnahmen.

Das passiert heute: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel reisen nach Ankara. Es ist der erste Besuch auf dieser Ebene seit einem Jahr. Dass die EU wieder Verhandlungsspielraum sieht, hat vor allem damit zu tun, dass aktuell die Spannungen etwas nachgelassen haben im Streit um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer.

Das steckt dahinter: Die Spitzenvertreter der EU wollen bei dem Treffen die Möglichkeiten, die Beziehungen zur Türkei zu verbessern, ausloten – obwohl es nebst dem Gasstreit mit Griechenland und Zypern zuletzt auch Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei gab.

Das ist das Angebot: Die EU stellt Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Ausweitung der Zollunion – also weniger Zölle für türkische Produkte auf dem europäischen Binnenmarkt – in Aussicht. Zückerchen im Handgepäck ist auch eine Aufstockung der Gelder im Flüchtlingsdeal. Die Türkei ihrerseits hofft auf Gespräche über die Visafreiheit von Türkinnen und Türken in der EU.

Das ist der Preis dafür: Falls die Türkei ihre Provokationen im östlichen Mittelmeer wieder aufnimmt, würden alle Kooperationsangebote gekippt, so Kommissionschefin von der Leyen. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben diese Strategie gegenüber der Türkei bei ihrem letzten Gipfel festgelegt.

Diese Interessen verfolgt die EU: Das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU aus dem Jahr 2016 soll verlängert werden. Das wird bei dem Treffen in Ankara nicht im Detail verhandelt. Allerdings werden wohl die Grundzüge oder einen Fahrplan für weitere Verhandlungen festgelegt. Rund 3.7 Millionen Menschen aus Syrien haben in der Türkei Zuflucht gefunden. Erdogan fordert schon lange mehr Geld für deren Versorgung.

Diese Erwartungen hat Erdogan: Auch die Türkei will wieder engere Wirtschaftsbeziehungen zur EU, ihrem wichtigsten Handelspartner. Ein Neuanfang in den Beziehungen ist wichtig für das Land, das in den letzten Jahren viel an Vertrauen verloren hat auf den internationalen Finanzmärkten.

Das sagen die Regimekritiker: Sie sind unzufrieden und sagen, die EU schliesse die Augen vor anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Am Wochenende gab es wieder zahlreiche Indizien dafür: Pensionierte Admiräle wurden festgenommen, ein bekannter Menschenrechtsaktivist verhaftet. Das zeige, dass sich Erdogan sehr sicher fühlt – denn er weiss, dass die EU trotzdem kommen und bei ihrer Charmeoffensive bleiben wird.

SRF 4 News, 06.04.2021, 06:50 Uhr ; 

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