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Zweiter Lockdown Journalist: «In Tschechien rächt sich die Lockerheit des Sommers»

Tschechien ist im zweiten Lockdown wegen Corona. Das Land sei im Sommer zu sorglos mit der Pandemie umgegangen, sagt der Journalist Kilian Kirchgessner.

Kilian Kirchgessner

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Kilian Kirchgessner ist freier Journalist. Er berichtet u.a. für die ARD aus Tschechien und der Slowakei. Auch schreibt er von dort für diverse Printmedien wie den «Tagesspiegel».

SRF News: Was bedeutet der Lockdown in Tschechien, der seit sechs Uhr heute gilt, konkret?

Kilian Kirchgessner: Es gilt quasi ein Bewegungsverbot – ohne Grund darf man nicht mehr aus dem Haus. Zudem bleiben mit Ausnahme von Lebensmittelläden, Apotheken und Drogerien alle Geschäfte geschlossen, die Restaurants sind schon länger zu. Ausserdem gilt ein strenges Versammlungsverbot: Unter freiem Himmel dürfen sich noch maximal zwei Personen treffen, die nicht zum gleichen Haushalt gehören.

Europas höchste Infektionsrate

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In Tschechien gilt bereits seit dem 5. Oktober der Notstand, ab heute ist das Land im Lockdown. Tschechien hat knapp 10,7 Millionen Einwohner, von denen sich bislang insgesamt fast 194'000 mit dem Coronavirus angesteckt haben. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten verzeichnet Tschechien derzeit rund 1000 Infektionen je 100'000 Einwohnerinnen und Einwohner binnen 14 Tagen. Das ist die europaweit höchste Infektionsrate.

Was ist in Tschechien noch erlaubt?

Beim Ausgehverbot gibt es viele Ausnahmen: Wer zur Arbeit ins Büro muss, darf das tun. Auch ist es weiterhin erlaubt, in der Natur und den Parks spazieren zu gehen – und in die Wochenendhäuser auf dem Land zu fahren.

Wie unterscheidet sich der aktuelle Lockdown von jenem, den Tschechien im Frühling verhängt hatte?

Die Massnahmen wurden in den letzten Wochen stufenweise verfügt – fast jeden zweiten Tag wurden sie verschärft. Noch vor wenigen Tagen hatte Ministerpräsident Andrej Babis Geschäftsschliessungen kategorisch ausgeschlossen – jetzt entschuldigte er sich für seine Kehrtwende.

Die Leute verlieren den Glauben daran, dass die Regierung weiss, was sie tut.

Doch als Konsequenz dieses Verhaltens verlieren die Tschechinnen und Tschechen den Glauben daran, dass die Regierung weiss, was sie tut. Im Frühjahr war das anders: Da empfanden die Menschen die Lockdown-Massnahmen als sinnvoll und alle hielten sich daran.

Bei der ersten Corona-Welle kam Tschechien noch verhältnismässig glimpflich davon, jetzt kämpft das Land mit den höchsten Fallzahlen Europas. Wie kam es dazu?

Tschechien verhängte im Frühling als eines der ersten Länder Europas einen sehr scharfen Lockdown. Es galt eine strenge Maskenpflicht sogar beim Joggen im Wald.

Sogar Clubs wurden wieder geöffnet – eine Lockerheit, die sich jetzt rächt.

Doch im Sommer gab es eine starke Gegenbewegung: Nirgends mehr mussten Masken getragen werden, sogar Clubs wurden wieder geöffnet. Das war eine Lockerheit, die sich jetzt rächt.

Wem wird dafür die Schuld für diesen Verlauf gegeben?

Viele Tschechen werfen der Regierung vor, den Rufen nach Lockerungen im Sommer zu stark nachgegeben zu haben. Andere schimpfen auch darauf, wie locker viele Mitbürger mit den immer noch gültigen Abstands- und Hygieneregeln umgehen.

Hat die Regierung dem Treiben zu lange zugeschaut?

Das Problem ist wohl die wankende Haltung und das scheibchenweise Vorgehen in den vergangenen Wochen. So konnten Restaurants im Sommer zunächst völlig normal arbeiten, dann mussten in den Innenräumen der Restaurants wieder Masken getragen werden, dann wurde verfügt, dass sie um 20.00 Uhr schliessen müssen, schliesslich wurden sie ganz geschlossen. Und jetzt kommt der Lockdown.

Das scheibchenweise Vorgehen mindert die Akzeptanz für die verordneten Massnahmen.

Dieses Vorgehen mindert bei vielen Tschechinnen und Tschechen offenbar die Akzeptanz für die verordneten Massnahmen.

Wie ist die Situation in den tschechischen Spitälern?

Gestern hiess es, dass die Betten zu 80 Prozent ausgelastet seien. Inzwischen hat die Regierung an tschechische Ärzte im Ausland appelliert, zurückzukehren. Der Engpass besteht vor allem beim Spitalpersonal.

Bereits sind 80 Prozent der Spitalbetten belegt.

Die Regierung verhandelt auch mit Nachbarländern, ob allenfalls Patienten übernommen würden. Auch glauben die Leute, dass die Krise länger dauern werde: Nach Verkündung der Geschäftsschliessungen ab heute stürmten gestern viele Tschechen die Einkaufszentren. Auf die Frage, was sie hier täten, antworteten viele: Weihnachtsgeschenke kaufen.

Das Gespräch führte Isabelle Maissen.

SRF 4 News aktuell vom 22.10.2020, 06.40 Uhr ; 

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