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Jakob Kern
Legende: Der Schweizer Jakob Kern koordiniert die Ernährungshilfe für rund vier Millionen Menschen in Syrien. Keystone
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Flüchtlinge in Syrien Ein Hauch Normalität 50 Kilometer von der Schlacht entfernt

Der Schweizer Jakob Kern, Länderdirektor des World-Food-Programms der UNO in Syrien, beschreibt, wie schwierig es für sein Team ist, in die Gegend von Rakka vorzudringen.

Das Welternährungsprogramm der UNO liefert Nahrungsmittel nach Syrien; in Gegenden, die stark umkämpft und schwer erreichbar sind. Zum Beispiel in die Umgebung der Stadt Rakka im Norden des Landes, eine der letzten Bastionen des IS. An vorderster Front ist der Schweizer Jakob Kern. Als Länderdirektor ist er für die Verteilung der Lebensmittel in Syrien verantwortlich.

SRF News: Wie schwierig ist der Zugang zur syrischen Stadt Rakka?

Jakob Kern: Bis vor einer Woche haben wir Nahrungsmittel mit Flugzeugen einfliegen lassen müssen, weil wir einfach keinen Zugang über die Strassen hatten. Aber mit 40 Tonnen pro Flug kommt man nicht an die Hunderttausenden von Menschen heran, die die Lebensmittel wirklich brauchen.

100'000 Zivilisten sitzen in Rakka fest

Seit Anfang Juni wird Rakka von den Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) belagert. Mit Unterstützung der internationalen Koalition wollen die SDF den IS aus seiner informellen Hauptstadt vertreiben. Nach Schätzung der UNO sollen derzeit bis zu 100'000 Zivilisten in der eingeschlossenen Stadt festsitzen. Und da die Kämpfe zunehmend an Intensität gewännen, steige auch die Zahl der bisher gegen 200 zivilen Opfer, warnte der UNO-Menschenrechtskommissar Zeid Raad Al Hussein. Die Konfliktparteien müssten weit mehr tun, um die Zivilbevölkerung zu schützen.

Rakka steht im Fokus der internationalen Streitkräfte, es werden Luftangriffe geflogen. Wie können Sie unter solchen Umständen arbeiten?

Es ist sehr schwierig. Wir arbeiten aber nicht in den Gebieten, in denen aktiv gekämpft wird. Wir arbeiten mit den Hunderttausenden Zivilisten, die aus der Stadt flüchten. Im Juni haben wir 186'000 Leute unterstützt, die aus Rakka geflohen sind – weg von den Kämpfen. Sie sind nach Norden geflüchtet. Dort sind sie in Durchgangslagern und zum Teil auch in Dörfern untergebracht.

Die Stadt erreichen wir nicht. Das wäre zu gefährlich für unsere Partner, die die Lebensmittel verteilen.

Wie nahe kommen Sie an die Stadt selbst heran?

Etwa 50 Kilometer. Die Geflohenen gehen mindestens soweit weg von der Stadt, um sicher zu sein, dass sie nicht mehr betroffen sind von den Kämpfen. Die Stadt, die momentan noch unter grossen Gefechten steht, erreichen wir nicht. Das wäre auch zu gefährlich für unsere Partner, die die Lebensmittel verteilen.

Welches Bild bietet sich Ihnen in den Flüchtlingslagern?

Die Menschen haben wirklich nur das Nötigste mitgenommen. Sie sind traumatisiert. Die Hälfte von ihnen sind Kinder. Da hört man sehr schlimme Geschichten. Die meisten sind nicht das erste Mal umgezogen. Sie haben woanders gelebt, sind vertrieben worden, haben sich wieder niedergelassen und wurden wieder vertrieben. Im Schnitt sind die elf Millionen Menschen, die ihr Zuhause verlassen mussten, schon dreimal wegen des Krieges umgezogen. Das hinterlässt Spuren. Eine Frau sagte mir: «Ich bin schon dreimal umgezogen, wohin soll ich jetzt noch gehen?» Diese Verzweiflung hört man immer wieder.

Sie haben noch genug andere Sorgen, aber zumindest sind die Lebensmittel kein Problem mehr.

Seit ein paar Tagen können Sie in der Region von Rakka wieder Nahrungsmittel verteilen. Gibt es Hoffnung, dass sich die Lage bessert?

Das ist sicher der Fall. Am Anfang haben wir den Leuten, die ankamen, eine einwöchige Nahrungsmittelration gegeben. Nahrungsmittel, die man nicht kochen muss, Büchsen und konservierte Lebensmittel. Jetzt sind es Monatsrationen. Es gibt ihnen ein bisschen einen Sinn von Normalität, wenn sie Küchenmaterial haben und wieder selber kochen können in den Camps oder den Häusern, die sie bewohnen. Das sind zwar meist auch Ruinen, die vom Krieg zerstört wurden, aber immerhin wissen sie jetzt, dass sie monatlich unterstützt werden.

Und die Tatsache, dass wir jetzt die Strasse benutzen und wirklich genug Essen für alle 186'000 Menschen liefern können, und das jeden Monat, ist eine unheimliche Sicherheit, dass zumindest dieser Teil des Lebens abgestützt ist. Sie haben noch genug andere Sorgen, aber zumindest sind die Lebensmittel kein Problem mehr.

Das Gespräch führte Melanie Pfändler.

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