Am Anfang war das Wort. Das chinesische Wort. Pony Ma, einer der Gründer von Tencent, programmierte in den 90er Jahren Software für einen Pager, ein mobiles Gerät, das Textnachrichten darstellen konnte. Ein paar Jahre später entdeckte er für den PC die Chat-Software «ICQ» der israelischen Firma Mirabilis. Zusammen mit vier Freunden entwickelte er eine Version für den chinesischen Markt und gründete die Firma Tencent.
Grosserfolg mit Textnachrichten
Es waren die Anfangszeiten des Internets. «QQ», wie der «ICQ»-Klon in China hiess, schlug ein und verbreitete sich schneller als E-Mail. Da die Chinesen in einem Chat keine Werbung akzeptieren, sei Tencent früh dazu gezwungen gewesen, sich andere Einnahmequellen zu überlegen, erzählt David Wallerstein in einem Interview mit Anu Hariharan der Firma Y Combinator. Der Amerikaner arbeitet seit 17 Jahren für Tencent und hat den Konzern von Anfang an zusammen mit den chinesischen Gründerinnen und Gründern aufgebaut.
Wer keine Werbung anzeigen kann und deshalb direkt Geld vom Kunden will, muss einen Nutzen anbieten. Das brachte Tencent 2002 dazu, eine QQ-Version für das Handy zu entwickeln. Um über QQ zu kommunizieren, benötigten die Chinesen fortan keinen PC mehr. Für 5 RMB, umgerechnet damal 60 Rappen, konnten sie sich ein Monats-Abo leisten. Die mobile Version von QQ spülte so viel Geld in die Kasse, dass Tencent von da an profitabel war.
Auf Kundenbedürfnisse fixiert
David Wallerstein schildert, wie obsessiv die Führung von Tencent an ihrem Produkt feilte. Immer standen die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden im Zentrum. Sie trieben die Weiterentwicklung des Produktes voran.
Eine weitere Antriebskraft war die Angst, den Anschluss zu verpassen. Nachdem Microsoft und Yahoo ihre eigenen Chat-Applikationen veröffentlicht hatten, sei in der Geschäftsleitung Panik ausgebrochen, erzählt David Wallerstein. Tencent war verunsichert: Hatte ein chinesisches Start-up überhaupt eine Chance gegen die amerikanischen Giganten? Tencent fand jedoch immer einen Weg, um das eigene Produkt optimal dem Heimmarkt anzupassen und sich so die Konkurrenz vom Leibe zu halten.
Gamen statt Chatten
2003 wurde die Tencent-Führung erneut gefordert. Es war das Jahr, als die Chinesen in «World of Warcraft» und weitere Games des gleichen Massive Multiplayer-Online-Genres (MMO) eintauchten. Wenn man in multimedialen Games auf raffinierte Weisen mit anderen Menschen interagieren kann, wer will da noch mit dem textlastigen QQ-Messenger kommunizieren?
Tencent entschied, ins Geschäft mit Games einzusteigen – zuerst mit Titeln aus Korea, die die Chinesen an den eigenen Markt anpassten, später mit äusserst erfolgreichen eigenen Entwicklungen und Beteiligungen an internationalen Game-Firmen (Supercell, Riot Games).
Auch hier analysierten die Gründer die Kundenbedürfnisse genau. Sie sahen schon früh das Potenzial des Free-to-Play. Dabei kann man gratis in ein Game einsteigen, hat dann im Verlauf des Spiels aber immer wieder Gelegenheit, Geld auszugeben für virtuelle Gegenstände oder um den Spielverlauf zu beeinflussen.
Vor allem in Asien werden mit solchen Games heute grosse Umsätze generiert. Es erstaunt deshalb nicht, dass Tencent seit fünf Jahren zur weltweit grössten Game-Firma aufgestiegen ist.
WeChat – das Werkzeug für den chinesischen Alltag
Doch trotz Erfolg blieb Tencent nie auf den Lohrbeeren sitzen. 2009 entschied sich die Führung, einen neuen Messenger zu lancieren. Zwei Teams wurden beauftragt, eine App zu programmieren. Die bessere Lösung der beiden Prototypen sollte dann auf den Markt gebracht werden. So wurde WeChat geboren.
Die App macht das Smartphone zum Alleskönner: Man kann damit in China Essen oder einen Fahrdienst bestellen, seine Ferienfotos posten, bei der Arbeit Dokumente austauschen, an Freunde Geld überweisen oder den Strassenhändler bezahlen – und natürlich auch Textnachrichten versenden. Die App ist aus dem chinesischen Alltag nicht mehr wegzudenken.
Die grosse Herausforderung für Tencent bestand darin, alle Funktionen auf dem kleinen Bildschirm des Smartphones so darzustellen, dass sich auch technisch Unbedarfte in der Vielfalt noch zurechtfinden. Eine Milliarde Chinesen, die WeChat mindestens einmal pro Monat benutzen, sind der Beweis dafür, dass das gelungen ist. Wie war das Möglich? David Wallerstein gibt die Antwort, indem er das Motto der Firma auf den Punkt bringt: «Keiner soll unsere Kunden besser kennen als wir».