Mehr als zehn Millionen Menschen in Europa leiden an Herzinsuffizienz – Tendenz steigend. Bei manchen ist das Herz derart schwach, dass ihnen nur noch ein Ersatzherz helfen kann. Doch oft gibt es kein passendes Spenderorgan. Die Alternative: implantierte Kreislauf-Unterstützungssysteme, die die Pumpfunktion des Herzens grösstenteils übernehmen. Einst nur als Überbrückungslösung bis zur Transplantation gedacht, fungieren diese Herzpumpen wegen des Organmangels immer öfter als Dauerlösung – auch wenn sie nicht optimal ist.
«Bei 70 Prozent der Patienten gibt es im ersten Jahr nach der Implantation Komplikationen», sagt Volkmar Falk, der gemeinsam mit Forschern von ETH und Uni Zürich das Projekt «Zurich Heart» lancierte. Sie können sogar tödlich sein. Bis vor drei Jahren leitete Falk die Herzchirurgie am Unispital Zürich, aktuell ist er ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums Berlin. Heute tüfteln insgesamt 19 multidisziplinäre Forschungsgruppen vor allem aus Zürich, aber auch vom Deutschen Herzzentrum in Berlin an der perfekten Herzpumpe – und wollen irgendwann sogar einmal ein vollständig implantierbares Kunstherz zur Marktreife bringen.
Abhängig von der Steckdose
Bis das soweit ist, setzen Chirurgen die kleine kreisförmige Pumpe auf die Herzspitze. Sie schickt das sauerstoffreiche Blut in die Aorta – quasi aussen am Herz vorbei. Dafür braucht sie Strom: Das Kabel führt am Bauch nach aussen und verbindet die Pumpe mit einer Steuereinheit und Akkus. 8 bis 18 Stunden halten diese, dann müssen sie gewechselt werden, nachts hängen sie an der Steckdose. Das ist lästig, aber machbar. Problematischer ist, dass es an der Austrittsstelle der Kabel aus dem Bauch häufig zu Infekten kommt. Diese können sich entlang des Kabels bis hin zur Pumpe ausbreiten. Dramatischste Konsequenz: Die Pumpe muss wieder ausgebaut werden.
Problem 1: Stromversorgung ohne Kabel
Damit es diese Eintrittspforte für Erreger künftig nicht mehr gibt, arbeiten die Zürcher Forscher an einer internen Energieversorgung – ohne Kabel und externe Akkus. Einen ersten Prototyp gibt es bereits: ein kleines silberfarbenes Kästchen mit integrierter Batterie. Per Induktion wird sie aufgeladen. Damit es künftig in die Brust implantiert werden kann, soll es noch kleiner und leichter werden.
Problem 2: Schutz vor Gerinnseln
Wenn das Blut mit der Pumpen-Oberfläche in Kontakt kommt, können sich gefährliche Gerinnsel bilden, denn «die Pumpe ist für das Blut ein Fremdkörper», erklärt Falk, «das Blut gerinnt.» Die Gerinnsel können die Pumpe verstopfen oder aber ausgeschwemmt werden, schlimmstenfalls bis ins Gehirn, und dort zum Schlaganfall führen. Um das Risiko zu minimieren, schlucken die Patienten täglich Blutverdünner – müssen dafür aber ein hohes Blutungsrisiko in Kauf nehmen.
Die Zürcher Forscher haben ihren Pumpen-Prototypen deshalb im Inneren mit patienteneigenen Zellen beschichtet. «Das Blut merkt gar nicht mehr, dass es durch einen Fremdkörper fliesst», sagt Falk. In Labortests funktioniert der Prototyp bereits gut. Als nächstes muss er sich im Tier und in Langzeittests bewähren.
Problem 3: Materialermüdung des Kunstherzens
Für Patienten, denen die Herzpumpe irgendwann nicht mehr ausreicht und die trotzdem nicht unmittelbar transplantiert werden können, wollen die Forscher ein komplett implantierbares Kunstherz entwickeln. Die Form dafür druckt bereits ein 3D-Drucker. Das Herz wird darin aus Silikon gegossen. Es ist weich und flexibel. In Labortests schlägt es 3000 Mal, sprich etwa eine halbe Stunde. Dann bekommt das Silikon erste Risse. Zum Vergleich: Unser Original schlägt während 80 wartungsfreien Jahren mehr als drei Milliarden Mal.
Problem 4: Anpassungsfähigkeit verbessern
Die Forscher lassen sich von den Herausforderungen nicht einschüchtern. Sie wollen langfristig alle Zürcher Entwicklungen im Kunstherz vereinen: die interne Energiezufuhr, die Zellmembran – und Sensoren, die die Pumpe entsprechend der körperlichen Belastung mehr oder weniger Blut pumpen lassen. «Einige Entwicklungen sind bereits so weit, dass man sie sehr bald in die Klinik einführen kann», sagt Volkmar Falk. «Bis wir ein komplett implantierbares System zur Verfügung stellen können, das in der Klinik verwendet werden kann, wird es dagegen noch sehr lange dauern.»
Zur Hightech-Medizin in wenigen Jahrzehnten
Auch wenn manche Entwicklung langwieriger ist, als die Forscher – und vor allem die Patienten – sich dies wünschen: In Anbetracht dessen, dass die Herzchirurgie, wie wir sie heute kennen, erst Mitte des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, ist dennoch sehr viel passiert.
Denn bis anhin gab es kein Penicillin, keine verlässliche Anästhesie, kein aseptisches Arbeiten, kein Röntgen, keine Katheterisierung, schon gar keine Knopfloch-Chirurgie – lange war eine Operation am Herzen ein Ding der Unmöglichkeit. Das Herz als Sitz der Seele anzutasten, undenkbar. Doch das änderte sich.
Von Messerstechereien und anderen Kuriositäten
Einen Vorstoss wagte ein Frankfurter Arzt namens Ludwig Rehn 1896. Als ein junger Mann nach einer Messerstecherei wider alle Erwartungen die Nacht überlebt, fasst sich Rehn sprichwörtlich ein Herz: Das schlagende Herz des jungen Gärtnergehilfen in der einen Hand, näht er mit der anderen die Stichverletzung an der Aussenwand der rechten Herzkammer – mit Erfolg. Das zeigte: Eingriffe am Herzen führen anders als angenommen nicht unmittelbar zum Tod.
Das zeigte sich auch in den Folgejahren, besonders eindrücklich aber im zweiten Weltkrieg. Dort führte ein Chirurg namens Dwight Harken eine Sanitätseinheit. Er entfernte Schrapnelle, Splitter und sonstige Geschütze aus den Herzen von über 100 verwundeten Soldaten – und verlor keinen einzigen. Spätestens damit war klar: Das Herz ist nicht unantastbar.
Operieren o.k. – aber wie betäuben?
Auch andernorts gewannen Ärzte an Sicherheit, Eingriffe am Herzen durchzuführen. Ein Problem jedoch blieb: Die Anästhesie steckte noch in den Kinderschuhen. Insbesondere in der Kinder-Herzchirurgie verbaute das engagierten Chirurgen lange den Weg. Doch US-Ärzte wagten den Vorstoss: 1959 hatten Ärzte am Texas Children’s Hospital bereits 120 Kinder mit angeborenen Herzfehlern erfolgreich operiert.
Wie operieren, wenn das Herz nicht stillhält
Selbst mit entsprechender Betäubung standen die Ärzte immer noch vor einem ganzen Berg an Problemen: Wie soll man ein pulsierendes Organ operieren, wenn jeder Fehlschnitt fatale Folgen haben kann? Die Lösung lag nahe: Es muss gelingen, das Herz temporär stillzulegen, ohne dass der Patient dabei stirbt.
Wurde die Körpertemperatur der Patienten in einer Eiswanne stark gesenkt, öffnete das den Chirurgen ein Zeitfenster von einigen Minuten, um den Herzschlag zu unterbrechen und zu operieren. Jede Minute mehr jedoch zog Hirnschäden beim Patienten nach sich.
Nur: In zehn Minuten sind keine komplexen Herzoperationen durchzuführen. Der Arzt John Gibbon von der Thomas Jefferson Universitätsklinik in Philadelphia suchte deshalb nach Möglichkeiten, das Blut ausserhalb des Körpers mit Sauerstoff anzureichern und dann wieder in den Kreislauf zurückzuschicken. 1953 war es soweit: Eine 18-Jährige war 45 Minuten lang an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen – und überlebte.
Einzige Operation mit 200 Prozent Sterberisiko.
Clarence Walton Lillehei wählte 1954 einen anderen Weg mit einer Methode, die so gefährlich ist wie sie klingt, aber erfolgreich war: Er verband den Blutkreislauf des Vaters mit dem des herzkranken Sohne. Das Blut des Kindes wurde mit einer Pumpe in die Vene seines Vaters befördert und floss von diesem mit Sauerstoff angereichert wieder zurück in die Halsschlagader des Kindes. Trotz dieser «Cross Circulation» starb der kleine Patient kurze Zeit später an Lungenentzündung. Lillehei selbst waren die Tücken dieser Methode bewusst: «Das ist der einzige Eingriff mit einem möglichen Sterberisiko von 200 Prozent» – weil er mit erheblichen Risiken für Eltern und Kind verbunden war.
Lilleheis Ruhm tat das jedoch keinen Abbruch, er wagte diverse bahnbrechende Herzoperationen. In seiner Amtszeit bildete er beispielsweise auch den Südafrikaner Christiaan Barnard aus, der genau vor 50 Jahren, am 3. Dezember 1967, Geschichte schrieb.
Herz eines Schwarzen im Körper eines Weissen? Undenkbar!
Christiaan Barnard war der erste Chirurg, der erfolgreich ein Herz transplantierte. Dabei hatte er gleich auf mehreren Ebenen Glück: Die Organspenderin, eine junge Frau, erlitt nur wenige Meter vom Spital einen Verkehrsunfall und war so schnell im Krankenhaus, dass ihre Organe noch keinen Schaden genommen hatten. Und: Sie war weiss – wie der 45-jährige Empfänger. Wenige Tage zuvor wäre Barnard bereits das Herz eines schwarzen Mannes zur Verfügung gestanden – doch das war in Zeiten der Apartheit tabu. Nichtsdestotrotz starb der Patient 18 Tage nach dem Eingriff an einer Lungenentzündung, die die Ärzte als Abstossungsreaktion missinterpretierten und fehlbehandelten.