«Die Fifa ist einflussreicher als alle anderen Länder oder Religionen auf der Welt, dank der positiven Emotionen, die der Fussball hervorruft»: Mit diesen Worten beschwor Sepp Blatter einst die einigende Kraft des Fussballs, und vermarktete ganz nebenbei den Weltfussballverband. So universell die Losung daherkommt, so schnell prallt sie in Israel an den Realitäten ab.
Israel ist ein kompliziertes Land. Und je näher man es betrachtet, umso komplizierter wird es. Kulturell und wirtschaftlich ist das Land eng mit dem Westen verbunden. In seiner direkten Nachbarschaft wird der «Judenstaat», den der Zionist Theodor Herzl als rettende Insel für verfolgte Juden erdacht hat, bis heute argwöhnisch beäugt.
Doch auch das Land selbst ist tief gespalten. Die zionistische Arbeiterbewegung, die das moderne Israel aufbaute und bis in die 1970er-Jahre politisch dominierte, hatte sich Israel einst als säkularen Musterstaat erträumt – als ein «Licht unter den Völkern». Israelische Rechtsregierungen haben in den letzten Jahrzehnten ein ethnisch-nationales Selbstverständnis geschärft.
Daneben versuchen nationalreligiöse Siedler, das biblische Judäa und Samaria im Westjordanland «zurückzuerobern»; manch Ultraorthodoxer lehnt das zionistische Projekt rundweg ab; schliesslich hat die Zuwanderung von Juden aus arabischen Ländern und der ehemaligen Sowjetunion Israel in den vergangenen Jahrzehnten nachhaltig verändert. Das explosive soziale Gemisch komplettieren israelische Araber, die rund 20 Prozent der Bevölkerung stellen.
Wer glaubt, dass diese Gegensätze während der 90 Minuten eines Fussballspiels aufgelöst werden, täuscht sich. Sie werden, ganz im Gegenteil, akzentuiert: «In den Stadien geht es um mehr als Fussball» sagt Moshe Zimmermann. Er ist Historiker – und Fussball-Fan.
Sein Herz schlägt für das unterklassige Hapoel Katamon, benannt nach einem Quartier in Jerusalem. Der Klub wird quasi genossenschaftlich von Anhängern mitgeführt, schildert Zimmermann: «Die Fans kommen aus einer sehr liberalen Ecke der Gesellschaft und bestimmen bei den Entscheiden des Vereins mit.»
Am anderen Ende des politischen Spektrums steht Stadtrivale Beitar Jerusalem: Der Erstligist ist der Klub der Rechtsnationalen. «Beitar ist besonders ethnozentrisch bis rassistisch. Die Fans akzeptieren keine arabischen, auch keine israelisch-arabischen Spieler in ihrer Mannschaft», sagt Zimmermann.
Besondere Brisanz hat in Israel das Duell des rechtsnationalen Beitar gegen den arabisch-israelischen Klub Bnei Sachnin. Die Stadt im Norden Israels ist rein arabisch: 95 Prozent der Einwohner sind Muslime, ein Grossteil hat die israelische Staatsangehörigkeit.
Spannungen sind also vorprogrammiert, wenn die beiden Teams aufeinandertreffen. Zimmermann gibt ein Muster der geladenen Atmosphäre: Die jüdischen Fans singen die israelische Nationalhymne, die muslimischen die palästinensische.
Es geht um mehr als Fussball, es geht um die Auseinandersetzung von zwei Nationen, zwei Völkern.
Fussball ist die populärste Sportart in Israel. Die Rivalitäten in den Stadien verpuffen also nicht im weiten Rund, sondern werden landesweit registriert. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Strömungen finden sich in der israelischen Nationalmannschaft zusammen.
In der Regel spielen dort auch einige israelische Araber. Vor einigen Jahren hielten Beitar-Fans während eines Spiels ein Transparent mit der Aufschrift «Beitar bleibt auf ewig rein» hoch. «Gemeint war rein von ‹arabischen Spielern›. Das ist der pure Rassismus», sagt Zimmermann.
Das gleiche Ziel verfolgen ultra-nationalistische Fans auch für die Landesauswahl: Sie soll nur aus Juden bestehen.
Einer der arabischen Israeli ist der ehemalige GC-Stürmer Munas Dabbur. Er wurde gross bei Maccabi Nazareth, der Stadt, die die grösste Gemeinschaft israelischer Araber im Land beheimatet. Dabbur erlebte als Araber, der in der israelischen Nationalmannschaft spielt doppelte Diskriminierung.
Er wurde Anfang Jahr vom Trainingslager mit seinem Klub Red Bull Salzburg in Abu Dhabi ausgeschlossen. Obwohl er Muslim ist, bekam er als Israeli kein Visum für die Einreise in die Vereinigten Arabischen Emirate; in Israel wiederum wollen ihn Rechtsnationalisten nicht in der Nationalmannschaft sehen.
Fussball als Spiegel der Gesellschaft
In Israel hat fast jede politische Strömung einen eigenen Klub, respektive Klubs: Die «Maccabis» gehen auf die Anfänge des Zionismus zurück, in der höchsten Spielklasse tragen drei Teams den Namen; die sieben «Hapoels» wiederum repräsentieren die Arbeiterbewegung.
Die Mannschaften widerspiegeln die bewegte Geschichte des Landes, das Ende des 19. Jahrhunderts von den Zionisten besiedelt wurde, und 1948 seine Staatlichkeit erlangte.
Der bekannteste und erfolgreichste Klub ist Maccabi Tel Aviv. «Maccabi ist eine Organisation der zionistischen Bewegung, die versuchte, den ‹neuen Juden› zu schaffen», erklärt Historiker Zimmermann. Dieser «neue Jude» sollte auch ein guter Sportler sein.
Das Wort ‹Maccabi› gehe auf die Makkabäer zurück, so der Historiker, «eine Gruppe von Aufständischen gegen die hellenistische Herrschaft in Palästina vor etwa 2000 Jahren. Die alte Geschichte (des Judentums) spielt eine sehr grosse Rolle.»
Das Ideal des virilen, kraftstrotzenden und braungebrannten «neuen Juden» geht weit über den Sport hinaus: Er sollte das unwirtliche Land im frühen 20. Jahrhundert mit schierer Muskelkraft und technischem Know-how urbar machen; die Zionisten wollten das Judentum, das bis anhin für Intellektualität und Spiritualität stand, neu erfinden:
Die Parole vom ‹Muskeljuden› spielt noch immer eine Rolle. Sie geht auf den Zionistenkongress in Basel 1898 zurück, sie wird aber bis heute in der Schule gepredigt.
Schliesslich gibt es auch sechs «Siedlermannschaften» in den besetzten Gebieten, die allerdings nicht in höchsten Spielklasse vertreten sind. «Sie sind natürlich ein Affront gegen die Grundregeln der Fifa», sagt Zimmermann.
Der Weltfussballverband hätte die Teams längst boykottieren müssen, findet der Historiker: «Sie hat den Entscheid bislang aber immer vertagt». Zwar hätten die Palästinenser mehrfach versucht, Bewegung in die Sache zu bringen: «Aber die Fifa als auch die Politik in Europa haben offenbar ‹Schiss› vor der israelischen Reaktion.»