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Viet Dang folgte kompromisslos seiner inneren Stimme und wurde Tänzer.
Legende: Viet Dang folgte kompromisslos seiner inneren Stimme und wurde Tänzer. SRF

Geboren auf der Flucht Von der Flüchtlingsinsel auf die Weltbühne

Viet Dang kommt unter widrigen Umständen zur Welt. In einem Flüchtlingslager in Malaysia. Seine Eltern sind nach dem Vietnamkrieg vor den Kommunisten geflohen. Doch dem Mut seiner Eltern verdankt er sein Leben. Und die Freiheit, das zu tun, was er am liebsten tut.

Viet Dang bezeichnet sich selber als Glückskind. Er konnte der Stimme seines Herzens folgen. Und sie hat ihn sicher geleitet: zum Tanz, in die Musik, auf die Bühne.

Doch Viet Dangs Start ins Leben ist schwierig. Nach dem Krieg tritt in Vietnam keine Enstpannung ein. Die Familie von Viet lebt in Furcht vor den kommunistischen Machthabern. Deshalb entschliesst sich die Familie 1978 zur Flucht.

Der Vietnamkrieg und seine Folgen

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Der Vietnamkrieg schloss direkt an den Indochinakrieg (1946-1954) an und dauerte bis 1975. Wegen der beteiligten Supermächte gilt er als Stellvertreter des Kalten Krieges.

Nach der Teilung Vietnams begann er als Bürgerkrieg. Dabei wollten die Kommunisten des Nordens die Regierung des Südens stürzen und das Land wiedervereinigen. Im Verlauf des Krieges erhielt Nordvietnam Unterstützung von der Sowjetunion und der Volksrepublik China, der Süden von den USA und sechs weiteren Staaten.

Man schätzt die vietnamesischen Kriegsopfer auf zwei bis fünf Millionen Menschen. Zudem fielen fast 60'000 US-Soldaten. Mehrere Millionen Vietnamesen wurden verstümmelt und dem hochgiftigen Entlaubungsmittel Agent Orange ausgesetzt.

Bis Ende April 1975 eroberten die nordvietnamesischen Truppen Südvietnam vollständig und beendeten den Krieg.

Vietnam ist nach dem Abzug der Amerikaner vollständig unter kommunistischer Herrschaft. Wer als Regimegegner oder als ehemaliges Mitglied der südvietnamesischen Behörden oder des Militärs ins Visier der neuen Machthaber gerät, muss Gefängnis, Arbeits- oder Umerziehungslager fürchten. Folterungen und Hinrichtungen von Südvietnamesen gehören zur Einschüchterungspolitik des kommunistischen Regimes. Auch Enteignungen sind an der Tagesordnung.

«Boat People»

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Karte Vietnam Malaysia
Legende: srf

Die Fluchtbewegungen nach dem Ende des Vietnamkrieges setzen schnell ein. Doch erst 1978 und 1979 kommt es zum Exodus. Die Nachbarländer Kambodscha, Laos und China sind als Fluchtorte wenig geeignet. Deshalb versuchen eineinhalb Millionen Vietnamesen per Boot ins Ausland zu gelangen: Sie gehen als Boat People in die Geschichte ein.

Sie fliehen in kleinen, meist ungeeigneten und hoffnungslos überladenen Booten übers Meer. Viele von ihnen ertrinken oder sterben auf der Überfahrt an Hunger und Durst.

Es sind die ersten Bootsflüchtlinge, die auch in unseren Breitengraden wahrgenommen werden.

Viets Eltern verlassen ihre Heimat mit drei Kleinkindern in Richtung Malaysia. Die Mutter ist mit Viet hochschwanger.

Das Schicksal ist der Familie von Viet Dang gnädig. Der Vater der jungen Familie ist Hochseekapitän. Sein Beruf wird zum Kapital für die Flucht.

Die Mutter zeigt ihrem Sohn die Bedingungen auf dem Flüchtlingsboot
Legende: Besuch in Malaysia. Viet Dang kehrt als Erwachsener an die Stätten der Flucht zurück. SRF

Von Schleppern angeheuert, steuert der Vater ein kleines Holzboot von Vietnam nach Malaysia. Mit 146 Flüchtlingen an Bord. Darunter seine Frau, die drei Kleinkinder und drei Brüder. Das Boot ist komplett überladen. Hoher Wellengang macht dem Kutter zu schaffen. Zweimal reisst die Steuerkette. Einmal versagt der Motor. Nach zweieinhalb Tagen riskanter Fahrt erreichen die Bootsflüchtlinge das Festland. Aber hier hat niemand auf sie gewartet.

Geburt auf der Flüchtlingsinsel

Malaysia ist auf den Ansturm der Flüchtlinge nicht vorbereitet. Die Behörden bringen tausende Flüchtlinge in Lagern unter. Viele von ihnen schicken sie aber auch direkt in den sicheren Tod: zurück aufs offene Meer.

Mehr als 1,5 Million Vietnamesen wagen die Flucht übers Meer.
Legende: Mehr als 1,5 Million Vietnamesen wagen die Flucht übers Meer. Keystone

Die Familie von Viet Dang hat Glück und wird nach Pulau Bidong gebracht. Auf eine Felseninsel in Küstennähe. Die Insel wird weltweit zum Symbol des Flüchtlingsdramas. Die Behörden konzipierten das Camp für 4000 Flüchtlinge. Kein Jahr nach der Eröffnung leben 40'000 Menschen hier. Die Insel gilt als dichtbevölkertster Ort auf der ganzen Welt.

Auf Pulau Bidong kommt im Dezember 1978 schliesslich Viet zur Welt. Sein Name erinnert an die Heimat der Familie. Im Lager verbringt Viet auch sein erstes Lebensjahr. In einer kleinen Welt voller Entbehrungen.

Die Lebensverhältnisse im Camp sind prekär. Die Behausungen karg, kein fliessendes Wasser, keine sanitäre Einrichtungen, wenig Nahrung und minimalste medizinischer Versorgung. Viet stirbt beinahe an Durchfall.

Eigentlich müsste ich tot sein. Doch zum Erstaunen aller habe ich überlebt.
Autor: Viet Dang

Mit viel Glück und dank der Unterstützung des medizinischen Personals auf der Insel überlebt der kleine Bub.

Ende 1979 nimmt die Schweiz die ganze Familie auf. Inklusive der drei Brüder des Vaters. In Basel leben die neun Personen erst in einem Flüchtlingszentrum, später in einer Dreizimmerwohnung. Der Vater arbeitet als Hilfskraft in einem Restaurant, dann als Zeitungsverträger. Ein fünftes Kind kommt zur Welt.

Die Familie bemüht sich um Integration. Kämpft sich durch allerlei Schwierigkeiten.

Als Kind einer vietnamesischen Flüchtlingsfamilie kommt Viet Dang 1979 in die Schweiz.
Legende: Als Kind einer vietnamesischen Flüchtlingsfamilie kommt Viet Dang 1979 in die Schweiz. SRF

Der Vater erhält schliesslich eine Stelle bei der Rheinschifffahrt und kann seinen gelernten Beruf wieder ausüben. Auch die Kinder sollen die bestmögliche Ausbildung erhalten.

Der Choreograf und Hiphop-Tänzer

Ein Zufall steht schliesslich am Anfang von Viets Tanz-Karriere. Er übernimmt die Tanzstunden der Schwester, die sich verletzt hat. Seine Begabung fällt sofort auf. Bereits ein halbes Jahr nach seinen ersten Tanzschritten, er ist erst 16 Jahre alt, kann er an den Schweizer Meisterschaften teilnehmen. Seine Eltern sind alles andere als erfreut und stellen ihm ein Ultimatum. Wenn er nicht gewinne, müsse er mit dem Tanzen aufhören.

Jungs tanzen nicht. Entweder du gewinnst oder du musst mit dem Tanzen aufhören.
Autor: Thi Dau Dang-Doan Mutter von Viet Dang

Viet Dang gewinnt und wird zum Schweizer Meister im Hiphop-Tanz gekürt.

Doch seine Eltern bestehen darauf, dass Viet eine gute Ausbildung abschliesst. In Basel besucht er das Gymnasium. Später studiert er Sozialpsychologie. Doch seine Leidenschaft gehört dem Tanzen. Dank Talent, Ehrgeiz und viel Ausdauer lebt und arbeitet Viet heute in Los Angeles als Tanzlehrer und Choreograf. Er tritt in Videoclips von Weltstars auf, steht neben ihnen auf Live-Bühnen. Erhält Engagements für Werbespots von Weltkonzernen.

Die Integration der Vietnamesen in der Schweiz

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Die Schweiz nahm Ende der 70er Jahre über 6000 Vietnamflüchtlinge auf. Viele von ihnen haben heute die Schweizer Staatsbürgerschaft.

Wohin es die Vietnamesen auch verschlägt, meist gelingt ihnen die Integration besser als anderen Migranten. Kaum je gelangen sie in Negativschlagzeilen. Im Gegenteil fallen sie durch grossen Fleiss und hohen Anpassungswillen auf. Mehrere Studien belegen die Bildungserfolge der Kinder der Boat People. So schafften es 2014 in Deutschland 64 Prozent der vietnamesischen Jugendlichen ins Gymnasium.

Über die Gründe der schulischen Erfolge debattieren Forscher offenbar seit längerem. Ordnung, Disziplin, intensive Betreuung durch Eltern und Lehrkräfte sowie die konfuzianisch-buddhistische Kultur - diese Gründe nennt Wirtschaftspädagoge Rolf Dubs von der Universität St. Gallen gegenüber der NZZ (18.8.2017) als Kriterien für den Erfolg. Die Überzeugung, dass gute Bildung aus der Armut führt, ist in der vietnamesischen Bevölkerung überdies tief verankert.

Wohin es sie auch verschlägt, es ist offentlich, dass dieser Einwanderergruppe der Aufstieg in westlichen Gesellschaften besonders gut gelingt. Zudem gilt als offensichtlich, dass die konfuzianisch-buddhistische Kultur der Vietnamesen gut zu den christlich-säkularen Leistungsgesellschaften im Westen passt.

Auch in der Schweiz hinterlässt Viet immer wieder Spuren. Sei es bei TV-Auftritten wie beispielsweise als Juror in der Tanzshow «Darf ich bitten?» von SRF oder als Choreograf des Videoclips von Zibbz. Die Geschwister vertreten die Schweiz beim diesjährigen European Song Contest in Lissabon.

Viet Dang als Juror in der SRF-Tanzshow «Darf ich bitten?»
Legende: Viet Dang als Juror in der SRF-Tanzshow "Darf ich bitten?" SRF

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