In Davos treffen sich derzeit mehr als 2000 Polar-Forscherinnern und Gletscherexperten zum Austausch ihrer Arbeit. Die Glaziologen befassen sich entweder mit dem Nordpol, dem Südpol oder mit Gebirgen wie den Alpen oder dem Himalaya.
Einer von ihnen ist Konrad Steffen. Der langjährige Atmosphären- und Gletscherforscher weiss, was mit der Klimaerwärmung auf den Planeten zukommt – auch wenn es noch tausende Jahre dauern wird, bis die Polkappen vollständig abgeschmolzen sind.
SRF News: Weshalb braucht die Schweiz ein eigenes Polar-Institut?
Konrad Steffen: Das Polar-Institut ist kein Institut an einer Uni, sondern eine Gruppe von Forschern, welche die Logistik und die Expeditionen koordiniert. Die Arbeit in der Arktis und in der Antarktis ist relativ komplex, die Schweiz hat keine eigenen Eisbrecher oder Polarstationen. Wir sind aber Mitglied in der antarktischen Kommission und im Arktischen Rat. Dadurch haben wir Zugang zur Logistik der anderen Nationen.
Die Grundlagen der Glaziologie und der Kryosphäre stammen aus den Alpen.
Auch wenn es nicht offensichtlich ist: Die Schweiz ist eine arktische Nation, denn die Grundlagen der Glaziologie und der Kryosphäre – die Eisgebiete auf der Erde – stammen aus den Alpen. Hier wurden die ersten Grundlagen erarbeitet. Die Forschungsergebnisse wurden später in der Arktis angewendet. Auch gelang die erste wissenschaftliche Überquerung Grönlands einem Schweizer: Im Jahr 1912 durchquerte der Polarforscher Alfred de Quervain als erster die Grüne Insel von West nach Ost – er lebte übrigens hier in Davos. Deshalb hat die Schweiz schon lange eine enge Beziehung zu den arktischen Nationen. Denn die Arbeit basiert auf demselben Medium an den Polen und auf den Gletschern: Der Kryosphäre.
Das Eis an den Polkappen wird stetig weniger – wegen der Klimaerwärmung. Wie viel steigt der Meeresspiegel, wenn alles Eis an beiden Polkappen tatsächlich schmelzen sollte?
Um 66 Meter. Doch das werden wir in den nächsten 10'000 Jahren nicht erleben. Derzeit verliert Grönland pro Jahr 360 Kubikkilometer Eis – das ist sechsmal so viel, wie alle Gletscher der Alpen derzeit an Volumen haben. Auch wenn das nach unvorstellbar viel tönt: Dadurch steigt der Meeresspiegel pro Jahr «bloss» um rund einen Millimeter.
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Wie behält man als Klimaforscher den Mut weiterzumachen – angesichts dieser wenig aufbauenden Erkenntnisse?
Ich bin schon seit über 40 Jahren jedes Jahr in der Arktis oder Antarktis und habe die Veränderungen hautnah miterlebt, seit rund 20 Jahren sehe ich sie durch meine eigenen Messungen. Klar ist: Die Erderwärmung kann man nicht von heute auf morgen umkehren.
Die Entwicklungsländer sollten dabei unterstützt werden, nur saubere Energien einzusetzen.
Um einen möglichst grossen Effekt beim Klimaschutz zu erreichen, sollten wir dort ansetzen, wo es den grössten Effekt hat: bei den Entwicklungsländern. Wir sollten diesen Ländern unbedingt saubere Energien verkaufen – und nicht jene Energie, die am billigsten ist. Doch noch werden vor allem Kohle und Erdöl in Entwicklungsländern als Energieträger eingesetzt, das ist am billigsten. Dies zu ändern, dazu sind die Weltbank und die Industrienationen gefordert. Der Klimafonds muss entsprechend eingesetzt werden. Die Entwicklungsländer müssen eine Chance erhalten, ihren Lebensstandard mit sauberer Energie nach oben zu bringen. Denn es sind jene Länder, in denen die Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten zunehmen wird.
Das Gespräch führte Christian von Burg.