Von schönen Kindheitserinnerungen wollte Josephine Baker nichts wissen. Wenn sie nach dem Beginn ihres Lebens gefragt wurde, stellte sie im Gegenteil jeweils ein traumatisches Erlebnis an den Anfang. Geboren 1906 im US-Bundesstaat Missouri erlebte Baker als 11-jähriges Mädchen die Rassenunruhen von East St. Louis.
«Baker macht dieses Erlebnis im Verlauf ihres Lebens zum Ausgangspunkt ihres Kampfes gegen Ungleichheit, weil sie da am eigenen Leib erfährt, dass ihre Hautfarbe schlicht lebensbedrohlich ist», sagt die Publizistin Mona Horncastle. Sie hat vor Kurzem die erste deutschsprachige Biografie über Josephine Baker herausgegeben.
Die Rassenunruhen, aber auch die konstante Erfahrung von Unterdrückung und Benachteiligung der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA sind Gründe für Bakers Entscheid, Tänzerin zu werden. In ihren Augen eine der wenigen Möglichkeiten, einem Leben in Armut zu entkommen.
Die Kleine mit den Schielaugen
Durch ihre Hartnäckigkeit und ihr Talent ergattert Baker ein Engagement in der sogenannten Chorus Line einer Broadwayshow in New York. Die Chorus Line, eigentlich eine uniforme Reihe von Tänzerinnen im Hintergrund. Doch Josephine Baker versteht es, sich von der Masse abzuheben.
Mona Horncastle: «Sie hatte humoristisches Talent und sie konnte wahnsinnig schielen. So spielte sie sich in den Vordergrund. Sie machte sich damit zwar bei ihren Kolleginnen sehr unbeliebt, doch an der Kasse fragte das Publikum nach der ‹Kleinen mit den Schielaugen›».
Die Wilde im Bananenrock
Weil sie so heraussticht, schafft es Josephine Baker, 1925 für eine Show in Paris besetzt zu werden. Nicht als Tänzerin im Hintergrund, sondern als Star der «Revue Nègre», wo sie halbnackt als afrikanische Wilde auftritt. In einer anderen Revue trägt sie den bis heute ikonischen Bananenrock.
Baker kommentierte in einem späteren Fernsehinterview, das sei völlig normal gewesen. Man wisse ja, dass man in Afrika nicht zu viel anziehen könne. Und sie habe eine afrikanische Frau dargestellt.
Der Auftritt als Wilde sei für Baker also kein Problem gewesen, im Gegenteil, sagt Publizistin Horncastle: «Sie hat das Stigma ihrer Haut in etwas Positives umgewandelt. Sie war die einzige schwarze Nackttänzerin. Und sie war der weibliche Star.»
Von der Sensation zum Superstar
Von da geht es mit Bakers Karriere steil nach oben, auch dank ihres Liebhabers und Managers Pepito Abatino. Er erkennt, was es braucht, um die kurzfristige Sensation in einen Superstar zu verwandeln.
Bevor sich das Pariser Publikum ob der exotischen Tänzerin zu langweilen beginnt, geht er mit Josephine Baker auf Welttournee. Sie fängt an zu singen. Und, so die Baker-Biographin Horncastle: «Abatino entwickelte eine Marketingstrategie, wie es sie bis dahin noch nicht gegeben hatte. Man konnte Josephine-Baker-Haarprodukte kaufen, es gab Josephine-Baker-Puppen...» Immer grösser, immer mehr – und so wird Baker Mitte der 1930er-Jahre zu reichsten Afroamerikanerin.
In der französischen Résistance
Doch in Europa sind die faschistischen Kräfte im Aufstieg begriffen. Hitler warnt vor dem Vormarsch der «Negermusik». 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg.
Eine Zäsur, auch für Josephine Baker, die nach der Besetzung Frankreichs von Agenten der französischen Exilregierung angeworben wird. Und sich bereitwillig darauf einlässt.
Sie engagiert sich als Truppenunterhalterin und sie sammelt und schmuggelt Informationen für die Résistance in Südeuropa, in Nordafrika. Sie bringt sich dadurch auch in Lebensgefahr. Mona Horncastle: «Sie begreift das als ihre Aufgabe. Sie begibt sich bewusst in die Gefahr, weil sie sich für eine Sache einsetzen will, die wichtiger ist als sie selbst.»
Während viele ihr im Nachhinein diese Ernsthaftigkeit absprechen, wird sie in Frankreich für ihr Engagement gefeiert. Und mit verschiedenen Ehrenmedaillen ausgezeichnet.
Die «Regenbogenfamilie»
Mittlerweile verheiratet mit dem französischen Orchesterleiter Jo Bouillon, beschliesst Baker, auf «Les Milandes», auf ihrem Schloss in der französischen Dordogne, eine Familie zu gründen. Sie adoptiert Kinder auf der ganzen Welt, nennt sie ihre «Regenbogenfamilie» und will damit beweisen, dass Menschen unabhängig von Nationalität, Hautfarbe und Religion friedlich miteinander leben können.
Doch dieser Lebensentwurf ist teuer. Und so tourt Baker durch die Welt, um Geld zu verdienen, während ihr Ehemann sich zu Hause um die zwölf Adoptivkinder kümmert.
Umso willkommener sind die grosszügigen Angebote, die Josephine Baker nun aus den USA erhält. Doch Baker ist nicht einfach «nur» Sängerin. Sie besteht darauf, dass Schwarze und Weisse gleichberechtigten Zugang zu ihren Konzerten erhalten. In den USA der 1950er-Jahre ist das eigentlich undenkbar.
Aber Baker setzt sich durch und als erste Entertainerin steht sie vor einem gemischten Publikum. Ein elementares Signal, sagt die Baker-Biografin: «Sie öffnet 1951 zum allerersten Mal in der Geschichte der USA einen ‹weissen› Club fürs schwarze Publikum. Und verleiht damit auch der Bürgerrechtsbewegung Aufwind.»
Ohne Rücksicht auf Verluste
Doch ihr Engagement hat seinen Preis. Veranstalter scheuen davor zurück, Baker zu buchen. Die Auftritte werden weniger, die Einnahmen versiegen. Baker opfert ihr persönliches Glück dem politischen Kampf.
Publizistin Horncastle: «Baker hat alles Geld da investiert, sehr zum Unglück ihres Mannes, der sah, dass es so nicht weitergehen kann. Aber sie hat sich engagiert, ohne Angst vor persönlichen Verlusten.»
Als Konsequenz davon trennt sich Jo Bouillon von Baker. Und trotz breiter Unterstützung verliert die Regenbogenfamilie 1969 ihr Zuhause, das Schloss in der Dordogne.
Filmreifer Abschied
Doch Josephine Baker lässt sich nicht unterkriegen. 1975, 50 Jahre nach dem fulminanten Start ihrer Karriere in Paris, steht Josephine Baker für eine Jubiläumsrevue ein letztes Mal auf der Bühne. Die Kritiker sind begeistert.
Am Tag nach der Première erleidet sie einen Schlaganfall und stirbt kurz darauf, am 12. April 1975, im Alter von 68 Jahren. Sie bekommt ein offizielles Staatsbegräbnis, 20'000 Menschen begleiten die Limousine, in der Josephine Bakers Sarg durch Paris gefahren wird.
Ein standesgemässer Abschied, in zweierlei Hinsicht: «Er zeigt, wie sehr sie in Frankreich geschätzt wurde. Und bei einem Familienbegräbnis an der Côte d’Azur trauerte die ganze Familie, inklusive ihres Ex-Mannes Bouillon», so Horncastle.
Das Erbe
Heute ist Baker vor allem in der queeren Community eine wichtige Figur, sie steht für Mut und sexuelle Befreiung. Und sie hinterlässt ein musikalisches Vermächtnis. Horncastle: «Diana Ross und Tina Turner hätten nicht so getanzt, wenn nicht Josephine Baker zuvor so getanzt hätte.»
Doch Bakers politisches Engagement ist einer breiten Öffentlichkeit unbekannt. Und so ist es auch kein Wunder, dass Baker bei den aktuellen Protesten gegen Rassismus und Gewalt an Schwarzen keine Rolle spielt: «Die wissen gar nicht, dass sie sich auf Josephine Baker berufen könnten», sagt die Publizistin.