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Panorama Kritiker des «American Way of Life»: US-Dramatiker Albee ist tot

Niemals lügen, mahnte Edward Albee diejenigen, die das Schreiben von ihm lernen wollten. Die Stücke des wohl einflussreichsten Dramatikers seiner Generation hielten dem modernen Amerika den Spiegel vor. Die Theaterwelt wird den Tod des Pulitzer-Gewinners nur schwer verkraften.

«Alle Kunst muss, wenn sie gut sein soll, nützlich sein.» Kaum ein amerikanischer Dramatiker hat sich diese Formel so sehr zur Maxime seines Schreibens gemacht wie Edward Albee.

Als Fixstern am US-Theaterhimmel und eine der wichtigsten literarischen Stimmen seiner Generation hielt er den Menschen einen Spiegel vor. Nun ist der aus Sicht vieler Kritiker einflussreichste US-Dramatiker seiner Zeit im Alter von 88 Jahren gestorben, wie die «New York Times» unter Berufung auf seinen Sprecher berichtete.

Seit 1963 im Bundesstaat New York

«Die Menschen dazu bringen, mehr auf die Dinge zu achten, auf die sie achten sollten», sagte Albee 2012 in einem Interview über seine Rolle als jemand, der ein Leben lang für das Theater lebte und schrieb. Von seinem Zuhause im beschaulichen Strandort Montauk am Zipfel von Long Island im Staat New York aus, wo er seit 1963 lebte, rüttelte er auf. Zum Nachdenken über Demokratie, Politik und Regierung müssten Dramatiker die Leser und Theaterbesucher anregen, sagte er.

Aber auch: «Ob sie ihr Leben zum Vollsten leben, oder nicht, ihre Reaktion auf andere, ihre Verpflichtungen sich selbst und anderen gegenüber.»

Adoptivsohn eines Theaterunternehmers

Seinem schreiberischen Schaffen schien der 1928 geborene Albee recht früh verpflichtet, indem er sich schon als Jugendlicher an ersten Gedichten, einem Roman und dem Stück «Schism» (Schisma) versuchte, das 1944 in der Zeitschrift seiner Schule in Choate/New York erschien.

Dass er sich über eine unglückliche Kindheit beklagte, mag an seiner Adoption nur zwei Wochen nach seiner Geburt in eine schwerreiche, erzkonservative Familie gelegen haben. Sein genauer Geburtsort, vermutlich in Virginia, ist nicht endgültig gesichert. Ausgerechnet am Berliner Schiller-Theater, wo die «Zoogeschichte» 1959 gemeinsam mit einem Stück Samuel Becketts uraufgeführt würde, machte der Adoptivsohn von Theaterunternehmer Reed Albee seinen ersten grossen Schritt in die Bühnenwelt.

«Wer hat Angst vor Virginia Woolf?»

Als das Stück es schliesslich ins New Yorker Greenwich Village geschafft hatte, verpasste es dem wachsenden «Off-Broadway», an dem abseits von Kommerz-Theater Raum für kreative Bühnenexperimente geschaffen werden sollte, einen Schub.

Albee selbst erhielt den wohl kräftigsten Schub seiner Karriere mit der bitteren Ehesatire «Wer hat Angst vor Virginia Woolf?», die auch dank einer Verfilmung mit Richard Burton und Elizabeth Taylor trotz vieler weiterer Stücke bis zu Albees Tod sein bekanntestes Werk blieb. Das abendfüllende Stück hatte ihn 1962 auf einen Schlag zum unumstrittenen Star am amerikanischen Theaterhimmel gemacht.

Kritik am «American Way of Life»

Doch die Lobpreisungen sah Albee auch mit gemischten Gefühlen: Das Stück «hängt mir am Hals wie eine glänzende Medaille - wirklich schön, aber ein bisschen beschwerlich», sagte er einmal.

Wie auch in anderen frühen Werken übt Albee in dem Stück gnadenlos Kritik am «American Way of Life», an der Hohlheit gesellschaftlicher Konventionen und moralischer Fassade. Seine Protagonisten George und Martha, ironisch nach dem US-Vorzeigepräsidenten George Washington und seiner Frau benannt, liefern sich auf Kosten eines anderen Paares ein hasserfülltes und doch seltsam vertrautes Ehegefecht. Liz Taylor und Richard Burton konnten bei der Verfilmung auf Erfahrungen aus ihrer eigenen turbulenten Beziehung zurückgreifen.

Beissender, hinterlistiger Humor

Albee provozierte und kommentierte die Welt mit beissendem, hinterlistigem Humor. Den Pulitzer-Preis, der Albee für «Virginia Wolf» nach einem Eklat in der Jury knapp verwehrt blieb, gewann er dann gleich dreimal: für die Dramen «Empfindliches Gleichgewicht» (1966), «See-Eskapade» (1974) und «Three Tall Women» (1991).

In rund 30 Stücken brachte er düstere Geheimnisse von Besserverdienern ans Licht, die unter einer Fassade modernen Lebens an ihren Selbstzweifeln nagen. Er habe die «Fähigkeit für Sadismus und Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft, die Flüssigkeit der menschlichen Identität, die gefährliche Unvernunft sexueller Anziehungskraft und stets die unumstössliche Gegenwart des Todes» beschreiben, kommentierte die «New York Times» einmal.

«Er war unsere Seele»

Für seine Zeitgenossen dürfte der Verlust Albees kaum zu verkraften sein. «Er war das schlagende Herz amerikanischer Dramatiker», sagt Albees Freund David Crespy, Literaturprofessor an der Universität Missouri. «Er war unsere Seele, unser Gewissen. Er hat unsere Kunstform mehr geschützt als jeder andere Autor, den ich kenne.»

Stets sei der Mann erreichbar und verfügbar gewesen, habe sich Zeit genommen und sei quer durch die USA gereist, um alle zu treffen, die Dramen schreiben wollten. «Es ist», sagt Crespy, «als würde ich meinen Vater verlieren.»

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