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Schädigung von Babys Redet Swissmedic das Problem mit Depakine klein?

Das Medikament führt während der Schwangerschaft zu schweren Schäden. Nun steht die Arzeimittelbehörde in der Kritik.

Das Medikament Depakine des französischen Pharmaunternehmens Sanofi ist seit mehr als 50 Jahren auf dem Markt. Es ist ein weit verbreitetes und gut wirksames Medikament gegen Epilepsie. Doch schwangere Frauen sollten Depakine auf keinen Fall nehmen, denn es führt zu Geburtsschäden beim Ungeborenen.

In Frankreich, dem Sitz von Sanofi, sind bis heute rund 6500 Fälle von geschädigten Kindern bekanntgeworden. 10 Prozent der Kinder, die im Mutterleib Depakine oder dem entsprechenden Generikum davon ausgesetzt sind, werden mit Missbildungen geboren. Bei 30 bis 40 Prozent kommt es zu schweren Entwicklungsstörungen wie Autismus.

Mutter mit Neugeborenem
Legende: Vor zwei Jahren erschütterte der Medikamentenskandal Frankreich: Depakine führt, wenn Schwangere es nehmen, zu schweren Missbildungen und Entwicklungsstörungen bei ungeborenen Kindern. Keystone

Die Schweiz registriert mögliche Missbildungen durch Depakine seit 1990, erklärt Caroline Mathys von Swissmedic. Seit damals seien 39 Meldungen eingegangen, die entweder Fehlbildungen oder Entwicklungsstörungen – in Einzelfällen auch beides – betroffen hätten: «Angesichts der langen Zeitspanne können wir glücklicherweise von einer geringen Anzahl Betroffener ausgehen.»

Swissmedic gehe davon aus, dass die Dunkelziffer von nicht-gemeldeten Fällen klein sei. Das Risiko für Fehlbildungen sei schon seit über dreissig Jahren bekannt. «Entsprechend sind die verschreibenden Ärzte und die Apotheken schon sehr lange sensibilisiert», so Mathys.

Der Bericht spielt das Thema herunter.
Autor: Liliane Maury Pasquier Ehemalige Ständerätin (SP/GE)

Die Arzneimittelbehörde hat den Bericht aufgrund eines Postulats verfasst, das die ehemalige Genfer Ständerätin Liliane Maury Pasquier im März 2018 eingereicht hat. Sie ist vom Bericht enttäuscht: «Er spielt das Thema herunter.»

Es werde behauptet, Depakine werde zurückhaltend verschrieben. Doch für diese Praxis liefere der Bericht keine Belege. Die von Swissmedic genannten Fallzahlen seien zwar tief; sie zweifle aber daran, ob sie wirklich repräsentativ seien.

Wie hoch ist die Dunkelziffer?

In Frankreich seien den Behörden nur 650 Fälle gemeldet worden, die eigentliche Zahl der Betroffenen sei aber erwiesenermassen zehnmal so hoch. Deshalb müsse man auch in der Schweiz mit einer hohen Dunkelziffer rechnen.

Maury Pasquier im Ständerat
Legende: Maury Pasquier fragte in ihrem Vorstoss, warum es so lange gedauert habe, schwangere Frauen systematisch über die Gefahren von Depakine aufzuklären. Keystone

Depakine ist in der Schweiz seit 1972 zugelassen. Schon Ende der 1970er-Jahre wurde in Fachkreisen bekannt, dass es bei Ungeborenen etwa zu Gesichtsdeformationen führt. Nach dem Jahr 2000 zeigte sich, dass Depakine auch die kindliche Entwicklung in Form von psychomotorischen, kognitiven und mentalen Störungen beeinträchtigt.

Kein Verbot trotz Risiken

«Diese Hinweise sind zwar in die Fach- und auch in die Patienteninformationen eingeflossen, aber viel zu wenig deutlich», sagt Pasquier. Das Piktogramm mit dem Warnhinweis für Schwangere stehe erst seit 2017 im Beipackzettel und bis heute gebe es kein Verbot für Depakine während der Schwangerschaft.

Depakine
Legende: Ein solches Piktogramm weist auf die Risiken einer Einnahme während der Schwangerschaft hin. SRF

Daniel Scheidegger ist Präsident der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften. Für ihn ist klar: Die Kontrolle hat im Fall von Depakine systematisch versagt. Die verschiedenen Akteure hätten sich die Bälle zugeschoben, statt Verantwortung zu übernehmen. Für Betroffene kommt die Reaktion der Behörden zu spät: «Wenn man sieht, wann das in der Literatur bekannt war, hätte früher gewarnt werden müssen.»

Scheidegger findet, dass die Aufarbeitung des Skandals nicht in die Hände von Swissmedic gehöre, die Arzneimittelbehörde sei selbst befangen: «Eine neutrale Instanz müsste prüfen, ob alles korrekt lief.» Der Fall könnte die Gesundheitsbehörden also noch weiter beschäftigen.

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