Eine Influencerin feilt sich die Zähne mit einer Nagelfeile in den sozialen Medien – und Zehntausende Followerinnen und Follower machen es ihr nach. Sie alle wollen sich so ein schöneres Lächeln zurechtfeilen. Wie solch schräge Ideen zum Trend werden – und wie sie wieder verschwinden – weiss die Soziologin Katja Rost.
SRF News: Was braucht es, damit aus solch einer schrägen Idee ein Trend wird?
Katja Rost: Zunächst muss das Thema in den Zeitgeist passen, es muss die Leute gerade interessieren. Auch muss das Thema von den richtigen Leuten kommen – entweder also von Influencern selbstoder es wird von Influencern weitergeleitet. Dabei spielt auch der Zufall eine Rolle. Manche Themen entwickeln sich zu Megatrends, andere mit den gleichen Voraussetzungen nicht.
Derzeit verbringen weltweit viele Menschen viel Zeit zu Hause. Hat das «Do it Yourself»-Phänomen in diesem Zusammenhang dem Zähnefeilen-Trend womöglich Vorschub geleistet?
Corona hat solche Trends sicher verstärkt, denn vielerorts liegt die ganze Beauty-Industrie am Boden. Man muss also selbst Hand anlegen. Allerdings würde ich den Zähnefeil-Trend etwa vom Brotback-Trend klar abgrenzen. Letzterer war schon vor Corona verstärkt beobachtbar.
Es ist sehr verlockend, wenn einem suggeriert wird, man könne gratis so aussehen wie die Stars.
Welche Rolle spielen die Kosten? Man spart ja Geld, wenn man sich die Zähne selber feilt, anstatt das vom Zahnarzt machen zu lassen?
Die Kosten spielen bei solchen Trends unter Jugendlichen sicher eine sehr grosse Rolle. Es ist sicher sehr verlockend, wenn einem suggeriert wird, man könne ein so strahlend weisses Lächeln quasi selbst herbeifeilen – also gratis auszusehen wie die Stars.
Zahnärzte warnen vor möglichen dauerhaften Schäden für die gefeilten Zähne. Können solche Wortmeldungen ein Internetphänomen bremsen?
Es ist zwar möglich, dass ein moralischer Appell etwas bewirken kann – allerdings wird das in der fraglichen Zielgruppe von Jugendlichen sehr schnell verpuffen. Bei ihnen steht der kurzfristige, hedonistische Nutzen im Vordergrund. Es kümmert sie kaum, was mit dem Zahn in fünf Jahren sein wird. Für Jugendliche liegt das weit in der Zukunft.
Bei jugendlichen Followern steht der kurzfristige, hedonistische Nutzen im Vordergrund.
Auch zwei Influencerinnen krebsten zurück und machten darauf aufmerksam, dass das Zähnefeilen keine so gute Idee sei. Nützt ein solcher Aufruf mehr als einer von ausgewiesenen Experten?
Auf jeden Fall, denn sie sind Rollenvorbilder. Sie generieren Trends – und diesen Vorbildern will man als Follower nacheifern.
Welche Gründe können sonst dafür verantwortlich sein, dass ein Trend in den sozialen Medien zu Ende geht?
Der wichtigste Grund ist, dass ein neuer Trend aufkommt. Die Userinnen und User verfügen nur über eine sehr begrenzte Aufmerksamkeit, sie halten sich nur kurze Zeit bei einem Phänomen auf und wechseln bald zum nächsten Trend. Wenn ein Phänomen nicht mehr geklickt wird und die Aufmerksamkeit der Community verliert, verschwindet der Trend zugunsten eines neuen Phänomens sehr schnell wieder.
Das Gespräch führte Manuel Ramirez.