Das gescheiterte Kraftwerk Urserntal sucht mit seinen Dimensionen noch heute seinesgleichen. Der Stausee hätte dazumal ein Drittel des Schweizer Energieverbrauchs gedeckt. Geplant war er, weil die Schweiz in den 1940er-Jahren in ihrer Energieproduktion unabhängiger werden wollte.
Heute stehen wir vor einem ähnlichen Problem. Die Schweiz hat den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen und will diese durch alternative Energie ersetzen. Ist es also möglich, dass solche grossen Stausee-Projekte wieder denkbar werden? Und war das Kraftwerk Urserntal überhaupt je eine gute Idee? Der Wasserkraft-Experte Dieter Müller gibt Antworten.
SRF News: Sie haben sich die Unterlagen des Stausee-Projekts Urserntal angeschaut. Was war Ihr Eindruck?
Es war ein sehr gewagtes Projekt und doch vergleichbar mit anderen Stauseen, die damals in der Schweiz angedacht waren. Ich denke da ans Kraftwerk Grande Dixence, das in etwa eine gleich grosse Leistung hat und tatsächlich gebaut wurde. Die Projekte lassen sich vergleichen – mit einem grossen Unterschied: Beim Stausee Ursern wäre das Speichervolumen rund dreimal grösser, es hätte also viel mehr Wasser aus anderen Tälern zugeleitet werden müssen.

Man hätte noch Wasser aus dem Wallis, aus Graubünden und weiteren Seitentälern zuführen müssen. Dadurch hätten diese anderen Täler ihre Wasserkraft nicht mehr nutzen können. Mittlerweile gibt es in vielen dieser Täler eigene Wasserkraftwerke. Das wäre jedoch nicht möglich gewesen, wenn das Kraftwerk Urserntal zustande gekommen wäre.
Was können Sie zum Standort der Staumauer sagen?
Aus reiner Ingenieurssicht ist der Standort natürlich optimal. Mit relativ kleinem Aufwand hätte man sehr viel Energie generieren können. Die Ingenieure rechneten mit einer jährlichen Energieproduktion von rund 2800 Gigawattstunden, das entspricht in etwa einem Kernkraftwerk Mühleberg. Der Stausee könnte also rund 13 Prozent der heutigen Kernenergie decken.

Genau das ist das Ziel. Wir stehen heute wieder vor einer Energiewende, die Schweizerinnen und Schweizer haben den Ausstieg aus der Kernkraft beschlossen. Nun braucht es mehr erneuerbare Energie. Werden solche Grossprojekte hierzulande wieder möglich?
Mit den heutigen Gesetzen zum Landschafts- und Naturschutz wohl kaum. Hinzu kommt die Finanzierung: Man rechnete dazumal mit Kosten von rund 1.1 Milliarden Schweizer Franken, das wären heute etwa 8.3 Milliarden Franken.
Es wird sicher noch der eine oder andere Stausee gebaut, doch niemals in diesem Ausmass.
Es ist sehr schwierig, Investoren zu finden, die solch hohe Summen für die Wasserkraft zur Verfügung stellen. Das zeigen die beiden neuen Kraftwerke Linth-Limmern und Nant de Drance. Sie kosteten je etwa zwei Milliarden und bereits da war die Finanzierung nicht einfach.
Welche Rolle spielt die Wasserkraft dann noch für die Energiewende?
Das Potenzial der Wasserkraft ist in der Schweiz beinahe erschöpft. Eine Erhebung des Bundes hat ergeben, dass durch Um- und Neubauten von Wasserkraftwerken nur etwa ein Viertel der Kernenergie ersetzt werden kann. Es wird also sicher der eine oder andere Stausee gebaut, doch niemals in diesem Ausmass. Die aktuell geplanten Werke erreichen etwa 20 bis 30 Prozent der Leistung eines Kraftwerks Urserntal.

Sie sagen also, dass ganze bewohnte Täler geflutet werden, ist heute nicht mehr möglich?
In der Schweiz und wahrscheinlich auch in Europa ist das sehr unwahrscheinlich. In anderen Ländern der Welt, wo die Energieproduktion absolute Priorität hat, passiert es bis heute.
Das Gespräch führte Lars Gotsch.
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