Reto Kretschmann strahlt wie ein Maikäfer. Ein hochwertiges Rennvelo im Leerlauf, das sei wie Musik. Leerlauf – ausgerechnet bei Lehrmeister Kretschmann? Sicher nicht, lacht der 63-Jährige, der von sich selbst sagt, er sei noch ein Patron alter Schule: «Streng, laut, exakt – ein harter Hund.»
Aber nicht nur, sagt Lars, der Stift im zweiten Lehrjahr: «Man lernt sehr viel bei ihm, man kann es mit ihm jedoch auch sehr lustig haben.» Die beiden stehen in der Werkstatt vor dem Bock, dem Montageständer. «Die Kette fängt schon an zu rosten, soll ich die wechseln?», fragt Lars. Sein Chef ist einverstanden.
«Du musst aber den Kunden anrufen, wenn die Kosten über 50 Franken höher sind als im Voranschlag. Da muss man genau sein!» Genau, das ist Kretschmann, Vater von zwei Kindern. Velos sind seine Leidenschaft. Seit über 35 Jahren bildet er Lehrlinge aus. Bis heute waren es 19 an der Zahl.
Kretschmann ist auch Prüfungsexperte. Wenn ein Jugendlicher bei ihm in die 3-jährige Lehre will, dann muss er vor allem eines haben: Das Velovirus, die Begeisterung fürs Zweirad. «Wenn jemand nicht selbst Velo fährt, ist es sehr schwierig, ihm das alles beizubringen», sagt er. «Doch wenn er spürt, wie es ist, hat er es auch leichter, in den Beruf hineinzukommen.» Der 17-jährige Lars putzt, repariert, begrüsst und berät die Kunden. «Ohne Stifte geht es nicht», sagt Kretschmann kurz und bündig. Das gilt vor allem in seinem Kleinbetrieb.
Im Frühling geht an sechs Tagen pro Woche die Post ab. Im Laden sind Kretschmann, seine Frau, die das Büro macht, ein Fahrradmechaniker und eben der Stift. Und der muss ganz schnell mächtig ran – überall, unten in der Werkstatt und oben, wo verkauft wird. «Und wenn das gut kommt, dann kann man ab dem dritten Lehrjahr mit ihm rechnen, fast wie mit einem Mitarbeiter.»
Die Lehrlingsausbildung als Investition, als Geschäft? So könne er das nicht sagen, sagt Kretschmann. «Im ersten Lehrjahr ist es sicher nicht gewinnbringend.» Das zweite könne interessant sein. «Und im dritten Lehrjahr, wenn der Lehrling wirklich Interesse hat, dann kann man von ihm profitieren, auch wenn er schon einen anständigeren Lohn hat.»
Am Ende der Lehre könne man in der Regel sagen: «Es haben ein paar Tausend Franken herausgeschaut für den Betrieb.» Will heissen: «Man kann zwischen 3000 und 6000 Franken verdienen. Aber man darf die Nerven nicht verlieren, wenn man sich immer wiederholen muss, alles zeigen; man muss Geduld haben, ohne dauernd auf die Uhr zu schauen.» Lars ist sich da nicht so sicher: «Am Schluss gehts vielleicht knapp auf, aber vielleicht nicht ganz.»
Kretschmann hat seine eigene Lehre als Velo- und Töffmechaniker in den 70er Jahren gemacht. Eine Lebensschule sei das gewesen, und der Lehrmeister wie ein Vater für ihn. «Ich war sicher eher frech, aber auch einer, der sehr interessiert war und der dank dem Lehrmeister Freude am Beruf bekam.»
Was ist der grösste Unterschied von damals zu heute bei den Lehrlingen? «Es ist extrem, wie sehr die jungen Leute heute abgelenkt sind vom Handy.» Kaum kämen sie herein, piepse bereits ihr Handy. «Manchmal können sie einem kaum die Hand geben deswegen.» Das findet Kretschmann sehr mühsam. Und deshalb gilt bei Velo Kretschmann ein Handyverbot.