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75 Jahre Schweizer Berghilfe Die Solidarität der Unterländer und die Nöte der Bergler

Einst linderte sie existenzielle Nöte, heute hält sie Berggebiete am Leben: Die Berghilfe ist in die Moderne getreten.

Das waren noch Zeiten – und Töne. Regula Straub, einst Kaderfrau in der Privatwirtschaft und seit sechs Jahren Geschäftsführerin der Schweizer Berghilfe lacht, als sie den Spendenaufruf der Berghilfe nach dem Lawinen- und Hochwasserjahr 1950 hört: «Das tönt für mich schon etwas altmodisch.»

Das historische Tondokument ist ein Widerhall aus längst vergangenen Zeiten. Von einer verstaubten, altväterischen Hilfsorganisation könne jedoch keine Rede sein, wehrt sich die 57-jährige Berghilfe-Chefin: «Die Berghilfe ist heute so modern, wie sie es zu Gründungszeiten war. Damals hat man vielleicht mehr direkte Not gelindert.»

Gegründet im 2. Weltkrieg

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1943 wurde die Schweizer Berghilfe gegründet – mitten in den Kriegsjahren. Im Aktivdienst waren damals auch sehr viele Bergbauern. Die Frauen, Kinder und Grosseltern daheim mussten sich auf ihren Höfen sozusagen selbst versorgen. Es war die Geburtsstunde der Schweizer Berghilfe. Die gemeinnützige Stiftung wird ausschliesslich mit Spendengeldern finanziert.

In Isenthal wird 1985 eine Schneefräse eingeweiht.
Legende: Pragmatische Direkthilfe: In Isenthal wurde 1985 eine Schneefräse eingeweiht. Die Urner Gemeinde hätte sich die 90'000 Franken teure Anschaffung nicht leisten können. Keystone

Heute gehe es darum, die Berggebiete lebendig zu halten, sagt Straub: «Das heisst, die wirtschaftliche Entwicklung in den Bergen voranzutreiben, Arbeitsstellen zu erhalten und zu schaffen.» Zumal immer noch ein Viertel der Schweizer Bevölkerung im Berggebiet wohnt.

Wir möchten mehr Projekte ausserhalb der Landwirtschaft unterstützen. Dort ist die Wertschöpfung grösser.
Autor: Regula Straub Geschäftsführerin der Schweizer Berghilfe

Die privaten Projekte, die von der Berghilfe unterstützt werden, sind so unterschiedlich wie die Menschen, die dahinterstehen. Zum Beispiel: Ein Stallausbau in Mürren, Berner Oberland. Die Modernisierung einer Schreinerei im Bleniotal, Tessin. Die Schaffung einer Kindertagesstätte in Lax, Wallis.

Berghilfe-Geschäftsführerin Straub sagt: «Wir möchten mehr Projekte ausserhalb der Landwirtschaft unterstützen. Denn bei diesen Projekten ist die Wertschöpfung grösser. Es bleibt mehr hängen für mehr Menschen, es werden mehr Arbeitsplätze geschaffen.» Stichwort: Tourismus, lokale Gewerbetriebe, Energie oder Bildung.

Zahlen zur Berghilfe

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Die Stiftung erhält im Schnitt jährlich Spenden von 25 Millionen Franken. Von weit über 50'000 Gönnerinnen und Gönnern. Bis heute wurden insgesamt über 25'000 Projekte mit rund 700 Millionen unterstützt.

An der Solidarität der Unterländer, der Städter mit der Bergbevölkerung, hat sich im Lauf der Jahrzehnte nichts geändert. Wieso eigentlich? Adolf Ogi, der Bergler der Nation, sitzt im Bahnhofbuffet Spiez – und gibt die Frage zurück: «Diese Frage kann man nur als Städter so stellen. Zum Glück hat sich nie etwas geändert.»

Die Solidarität wurde in der Schweiz immer gelebt, und sie muss auch weiterhin gelebt werden.
Autor: Adolf Ogi Alt-Bundesrat und ehemaliger Präsident der Schweizer Berghilfe

Der leutselige Alt-Bundesrat war von 2002 bis 2006 Präsident der Schweizer Berghilfe. Und hat diese umstrukturiert, modernisiert, entstaubt. Trotzdem nochmals: Weshalb diese ungebrochene Solidarität?

«Die Solidarität wurde in der Schweiz immer gelebt, und sie muss auch weiterhin gelebt werden», ist Ogi überzeugt. Sollten die Leute in den Berggebieten dereinst nicht mehr bereit sein, die Wiesen als Bauern zu pflegen, habe das Land ein Problem: «Dann haben wir eine totale Verstädterung in der Schweiz.»

Ogi als Präsident der Schweizer Berghilfe, 2005
Legende: Adolf Ogi, hier in einer Aufnahme von 2005, präsidierte die Schweizer Berghilfe während vier Jahren. Keystone

Ogi wider den Zeitgeist

Ogi kennt sie, die Vorstellungen der neoliberalen Vordenker, die im Zusammenhang mit dem Berggebiet von einem «Schrumpfungsprozess», von einem «geordneten Rückzug» reden.

Und Ogi kennt auch die Studie des ETH-Studios Basel um die Stararchitekten Herzog und de Meuron, wo bereits vor Jahren provokativ von einer Rückverwandlung grosser Teile des Berggebietes in alpine Brachen gesprochen wurde.

Der Alt-Bundesrat sieht darin Zeitgeist: «Es ist ausserordentlich wichtig, dass wir nicht auf solche Studien einsteigen, die sagen, dass wir alles hinter Sargans nicht mehr pflegen müssen. Das ist absoluter Blödsinn!»

Sonderbriefmarke zu Ehren des 75-jährigen Bestehens der Schweizer Berghilfe
Legende: Zum 75-Jahr-Jubiläum der Schweizer Berghilfe wurde heute eine Sonderbriefmarke enthüllt. Keystone

Heisst das Strukturerhaltung um jeden Preis? «In einem gewissen Sinn, ja. Massvoll und geschickt. Wenn wir den Leuten den diesen Strukturerhalt nicht geben, verlieren sie den Mut, den Halt und die Bereitschaft, in diesen Berggebieten weiterhin zu leben. Voilà!»

Ogi hat gesprochen. Und macht sich auf den Weg. Nach Kandersteg, in die Berge.

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