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«Ausserordentliche Lage» Es geht um die Glaubwürdigkeit des Bundesrats

Es waren Bilder eines scheinbar ganz normalen Frühlingssonntags. Familien auf Radtouren, verliebte Paare in Gartenwirtschaften. Die Schweiz ziemlich entspannt im Coronavirus-Ausnahmezustand. Und während auf Elternchats der Montag mit den Kindern organisiert wurde und Positiv-Meldungen über Solidaritäts- und Hilfsaktionen für die Risikogruppen die Runde machten, tickerten die Medien auf den Newsapps neue Hiobsbotschaften.

Hat der Bundesrat die Übersicht verloren?

Die Zahl der Infizierten – sie hatte dramatisch zugenommen. Und ein erster Kanton kündigte Massnahmen an, die noch einmal deutlich über das hinausgingen, was der Bundesrat keine 48 Stunden zuvor beschlossen hatte.

Bis heute Mittag hatten sieben Kantone den Bundesrat mit Notstandsregelungen überholt. Hat der Bundesrat, so fragten sich wohl viele in den letzten Stunden, die Führung oder die Übersicht verloren? Hat er zu langsam, zu zögerlich gehandelt? Warum haben seine Entscheide nicht mal zwei Tage Bestand? Ist er zum Getriebenen geworden unter dem Druck seiner Bürger, der Wirtschaft? Der Kantone? Im Clinch zwischen jenen, die schon länger schärfere Massnahmen forderten und jenen, die noch so viel Normalität wie möglich erhalten wollten?

Später urteilen

Wie sich der Bundesrat in dieser Krise geschlagen hat, das wird man erst beurteilen können, wenn die Epidemie überstanden ist. Aber in den letzten 24 Stunden ging offensichtlich ein Ruck durch den Bundesrat.

Die Massnahmen, die er heute getroffen hat, sind nochmals massiv einschneidender. Und endlich auch in der ganzen Schweiz einheitlich. Der Ton, den Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga angeschlagen hat, war ein Appell. Ein Appell an alle, dass dieser Ruck jetzt durch die ganze Bevölkerung gehen müsse.

Gemeint sind damit nicht nur jene, die am Wochenende in Sachen Abstandhalten und Geselligkeit etwas gar sorglos unterwegs waren. Gemeint sind damit zum Beispiel auch die Arbeitgeber, die konsequent dafür sorgen müssen, dass, wenn möglich, Homeoffice geleistet wird.

Es geht um die Glaubwürdigkeit des Bundesrats

Das Leben geht trotz allem weiter in der Schweiz. Es wird weiter gearbeitet, Gewerbebetriebe der meisten Branchen werden nicht geschlossen, Gemeindeverwaltungen oder Spielplätze bleiben im Gegensatz zu einigen Nachbarländern offen, es gibt keine Ausgangssperren. Es ist zu hoffen, dass der «Ruck» wirklich durch das Land geht und die neuen Massnahmen wirken. Und dass der Bundesrat sie nicht schon wieder nach wenigen Tagen weiter verschärfen muss. Nicht zuletzt wegen seiner Glaubwürdigkeit.

Gion-Duri Vincenz

Bundeshausredaktor

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Gion-Duri Vincenz ist seit 2003 SRF-Redaktor im Bundeshaus und arbeitet vor allem für die «Tagesschau» und «10vor10». Neben seiner Tätigkeit als Korrespondent in Bern moderiert er auch Abstimmungssendungen von SRF.

SRF Tagesschau, 19:30 Uhr; koua ; 

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