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Bekannter Gefangener Brian alias «Carlos»: «Ich traue niemandem mehr»

Sechs Männer in Vollmontur und ein Insasse. Er ist gefesselt, und doch eskaliert es immer wieder. Der Gefangene heisst Brian, alias «Carlos»: Gewalttäter – Provokateur – aber auch Opfer von Behördenfehlern. Die «Rundschau» hat den bekanntesten Gefangenen der Schweiz getroffen.

Die Recherche der «Rundschau» beginnt vor Monaten. Es geht um Brian, den Menschen hinter dem «Fall Carlos». Er sitzt in der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf (ZH), seit langem isoliert in Einzelhaft. Dieser Zustand lässt seine Familie verzweifeln.

Auch der Strafvollzug versucht vieles, um einen Umgang mit Brian zu finden. Doch was tun mit einem Insassen, dessen Leben aus einem Krieg gegen das System besteht? Bleibt im Schweizer Justizsystem nur diese rigide Haft, Härte, Isolation? Andere Lösungen, seien unmöglich, steht in den Akten der Staatsanwaltschaft, die Möglichkeiten seien ausgeschöpft.

Immer wieder Pöschwies

Der Insasse sei bereits mehrfach in andere Vollzugsanstalten verlegt, doch aufgrund seines aggressiven Verhaltens nach kurzer Zeit in die Pöschwies zurückgeschickt worden.

Der Justizvollzug gibt trotzdem nicht auf. Jüngster Versuch: Der Bau von zwei Spezialzellen mit eigenem Hofzugang für 1.85 Millionen Franken – einzigartig im Schweizer Strafvollzug. Doch auch dieser Versuch scheitert. Brian beschädigt die Zelle in kurzer Zeit.

Hohe Belastung für Vollzugsmitarbeiter

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Für die Mitarbeitenden des Strafvollzugs ist der tägliche Umgang mit Brian wegen Drohungen sehr belastend. Sie werden von Brian bedroht - auch mit dem Tod - und angegriffen. Laut Akten haben sie «Knie- und Bissverletzungen» erlitten. Sie erhalten professionelle Unterstützung, aber es ist klar: Sie möchten alle auf den Kontakt mit dem Insassen verzichten.

Die «Rundschau» erhält Einblick in den schwierigen Alltag im Vollzug. Doch kurz vor Drehbeginn zieht die Zürcher Justizdirektion trotz monatelanger Vorbereitung alles zurück. Die Begründung: «Medienberichte führen zu einer Exponierung von B. K. und zwingen ihn in eine Rolle. Solche Erfahrungen erschweren es ihm, an sich zu arbeiten und sich zu einem selbstverantwortlichen jungen Mann zu entwickeln.» Die politischen und fachlichen Aufsichts- und Kontrollorgane hätten aber jederzeit Zugang zu den Institutionen, um sich ein Bild zu machen.

Brian zur Einzelhaft

«Einzelhaft ist viel effektiver, als wenn man jemanden schlägt. Es zerfrisst dich von innen. Es lässt dich von innen brechen und zerstören. Ich habe Kraft gefunden. Dass ich immer weitermache, weitermache. Was mir Kraft gibt, ist Wut, ist Aggression. Die Wut gibt immer Kraft, Kraft, Kraft. Wenn ihr wollt, dass ich verliere, dann müsst ihr mich umbringen.» (..)

«Ich bin 25, ich bin zehn Jahre von meinem Leben eingesperrt. Keiner in meinem Alter in der Schweiz ist so lange eingesperrt. Niemand.» (...) «Ich hatte nie eine Schule, nie etwas profitiert von Massnahmen seit ich 6 Jahren alt war.»

Brian über Verwahrung und Vertrauen

«Ich habe Ihnen gesagt, Verwahrung ist unmenschlich. Wenn man mich umbringen würde, wäre das viel menschlicher. Und vielleicht würde ich dann schauen, dass sie mich umbringen. Dass es so ausartet, dass sie mich erschiessen. Es ist einfach traurig.» (...) «Ich traue niemandem mehr, der nicht meine Familie ist.»

Brian über seine Aggression

«Dort drin, ich bekomme Aggressionen. Irgendwo muss die Wut raus. (..) Ich schlafe jede Nacht nur drei, vier Stunden. Ich bin immer gereizt.» (...) «Wenn du lange alleine bist, willst du selbst mit deinen Feinden in Kontakt treten. Du weisst, es sind deine Feinde. Aber du willst einfach mit irgendjemandem reden.» (...) «Es geht nicht. Das, was sie verlangen, es geht nicht. (...) Es ist nicht so, dass ich nicht will, es geht nicht.»

Brian über die neue Zelle, die er zerstörte

«Die neue Zelle. Die ist so schnell kaputtgegangen, das hat mich selber überrascht. Ohne Spass. Ich ging dorthin, sah die Kamera. Wurde wütend. Was soll das? Ging ich zum Spazieren. Habe die Türe auf und zu geschlagen, und schon war sie kaputt.»

Brian zur Frage, ob er Medikamente nehmen würde

«Für was? Um die Wut zu kontrollieren? Nein, würde ich nie machen. Ich bleibe lieber hier im Gefängnis, als Medikamente zu nehmen. (...) Es braucht keine Entspannung. Ich bin perfekt, so wie ich bin. Ich bin mit mir selber zufrieden. Ich liebe mich selber sehr. Manche würden das als narzisstisch bezeichnen, aber ich liebe mich. Ich finde mich super. Ich will mich gar nicht verändern. Ich mache nichts, das falsch ist.»

Experte: Zwangsmedikation könnte Lösung sein

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Benjamin Brägger

Benjamin Brägger arbeitet seit mehr als 30 Jahren im Justizvollzug. Er berät und schult heute Justizbehörden und Gefängnisverantwortliche. SRF hat ihn gefragt, welche Optionen es für den Justizvollzug im Umgang mit Brian noch gibt.

SRF: Welche Optionen bleiben der Strafanstalt mit Brian noch? Es geht ja auch um die Sicherheit des Personals?

Benjamin Brägger: Die Anstalt Pöschwies macht das derzeit richtig, sie schützt ihr Personal so gut es geht. Man muss aber auch sehen, dass eine solche Isolation auch zu gesundheitlichen Schädigungen psychischer Natur führen kann.

Gibt es also keine Optionen für das Gefängnis?

Zurzeit nicht. Denn es braucht immer auch den Insassen, der mithelfen will. Wenn Brian sich nicht öffnet und seine Gewaltbereitschaft nicht abnimmt, wird das Gefängnis ihn immer sehr eng führen und wenig ermöglichen. Das führt zu Schädigungen und das System bricht ihn am Schluss. Nicht weil es das will, sondern weil wegen der Sicherheit von Personal und Mitinsassen nicht mehr Freiräume gewährt werden können.

Darf der Staat in Kauf nehmen, einen Menschen zu brechen?

Der Staat macht nur Zwangsinterventionen, wenn der Mensch gefährlich ist und nicht anders zur Räson gebracht werden kann. Es darf nicht sein, dass Menschen mit brachialer Gewalt erzwingen können, was sie wollen. Es muss eine gewisse Ordnung sein, gewisse Leitplanken müssen akzeptiert werden. Es geht um Schutz und Sicherheit von Mitmenschen.

Gibt es keinen Spielraum, keine Perspektiven für Brian, wie er nach der Strafe seine ungeheure Energie loswerden kann, ohne Leute zu gefährden?

Er hat im Verlaufe seines Lebens bereits viele Chancen gekriegt. Er machte jedoch all diese immer zunichte. Sobald man von ihm etwas verlangt, dass er nicht will, antwortet er mit Gewalt. Das können wir nicht tolerieren.

Es gibt also keine Optionen mehr?

Nur, wenn er sich öffnet. Und hier stellt sich die Frage, ob man nicht einen Versuch machen müsste mit Zwangsmedikation. Ihn also gegen seinen Willen mit forensisch-therapeutischen Mitteln behandeln soll, um ihm aus seinem geistigen Gefängnis heraus eine Türe zu öffnen und er erkennen könnte, dass es noch eine andere Welt gibt.

Das wäre dann aber ein absoluter Grenzbereich vom Rechtsstaat?

Das darf der Rechtsstaat. Es kommt immer wieder vor, dass wir bei psychisch schwer kranken Menschen zu diesem Mittel greifen, um diesen Menschen eine Chance zu geben, aus einer sehr ausweglosen Situation zu finden.

Brian bringt das System an den Anschlag. Ist das ein Einzelfall oder hat der Schweizer Justizvollzug ein grösseres Problem?

Es gibt in der Schweiz 7000 Haftplätze, davon 50 in spezialisierten Abteilungen mit erhöhter Sicherheit. Es gibt immer wieder Insassen, die extrem gewaltbereit sind. In diesen Spezialabteilungen können wir diese dann für eine gewisse Zeit beruhigen. Viele können dann auch wieder in den normalen Vollzug. Bei einigen geht das sehr lang. Brian aber ist in meiner 30-jährigen Erfahrung eine Ausnahmeerscheinung.

Rundschau 16.12.20, 20.05 Uhr ; 

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