Zum Inhalt springen

Besuch in Spreitenbach Das Nichtwähler-Dorf

In Spreitenbach wählt bei nationalen Wahlen nicht einmal jeder Dritte. Weshalb ist das so?

Das Dorf Spreitenbach im Kanton Aargau gehört in der Schweiz zu den Gemeinden mit der tiefsten Wahlbeteiligung. Bei den letzten nationalen Wahlen gaben nur rund 30 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme ab, das ist rund 20 Prozent tiefer als der nationale Durchschnitt.

Während fünf Tagen sucht die «Rundschau» in Spreitenbach das Gespräch mit Nichtwählern, besucht Musikkonzerte, Vereinstrainings, Dorfbeizen und spricht mit Politologen. Allgemeines Fazit: Die Nichtwähler lassen sich in drei Gruppen einteilen. Die Zufriedenen, die Verdrossenen und die Jungen.

Die Zufriedenen

Zur Gruppe der «Zufriedenen» gehört der pensionierte Unternehmer und ehemalige Gemeinderat von Spreitenbach Robert Wegmann.

In meinem Alter muss man nicht mehr mitreden.
Autor: Robert Wegmann Unternehmer im Ruhestand

Er geht heute nicht mehr wählen: «In meinem Alter muss man nicht mehr mitreden», erzählt er bei einer Spritztour durchs Dorf in einem seiner Sportwagen.

Wie die meisten Nichtwähler ist Robert Wegmann zufrieden mit seinem Alltag und vertraut auf die Institutionen. Und auf die Jungen: «Sie sollen die Weichen stellen für die Zukunft.» Wegmann kann sich einen sorgenfreien Lebensabend leisten. Er reist gerne und viel und geniesst seine Hobbys.

Zufriedenheit macht Wähler faul

Box aufklappen Box zuklappen

Zufriedenheit ist der häufigste Grund, weshalb Staatsbürger Wahlen fern bleiben – gemäss einer Studie der Universität Bern macht das rund einen Viertel der Stimmberechtigten aus. Gemäss der Studie sind die Zufriedenen die grösste Gruppe unter den Nichtwählern.

Mitverfasst hat die Studie der Politologe Adrian Vatter. «Das sind Leute mit gutem Einkommen, hohem Bildungsgrad, gut integriert. Aber: sie interessieren sich nicht für Politik. Sie sind nicht motiviert. Und interessant: Sie haben gleichzeitig ein sehr hohes Vertrauen in die politischen Institutionen, in die Parlamentarier, in den Bundesrat.»

Die Verdrossenen

Zur Gruppe der Verdrossenen gehört die 73-jährige Elisabeth Denzler.

Ich habe das Vertrauen in die Politik verloren.
Autor: Elisabeth Denzler Anwohnerin von Spreitenbach

Die «Rundschau» trifft sie in einem Café in Spreitenbach. Früher als ihr Mann noch lebte, ging sie wählen. Doch heute nicht mehr. «Vor den Wahlen versprechen einem die Parteien das Blaue vom Himmel. Und dann passiert wenig. Ich habe das Vertrauen in die Politik verloren», sagt sie.

Laut der Studie der Uni Bern geht es 16 Prozent der Nichtwähler wie Elisabeth Denzler. Sie lebt bescheiden in ihrer Zweizimmerwohnung im 23. Stock eines Hochhauses. Sie ist hier eine der wenigen Schweizerinnen. Über die Hälfte der Bevölkerung sind hier Ausländer. Rund 70 Nationen leben in Spreitenbach.

Die Jungen

Die Jungen bilden die dritte Gruppe Nichtwähler, die auffällt.

Wenn Sie meine Stimme wollen, müssen sie meine Aufmerksamkeit gewinnen.
Autor: Robert Devcic Automatiker aus Spreitenbach

«Ich habe keinen Bezug zu Politikern», sagt Robert Devcic, 27 Jahre. Und: «Wenn Sie meine Stimme wollen, müssen sie meine Aufmerksamkeit gewinnen.» Der junge Automatiker kommt gerade im Tarnanzug vom WK heim. Devcic hat einen gefragten Job, lernt nebenher für die Matura, ist Mitglied bei der Feuerwehr und Coach des lokalen Basketballteams «Unicorn» – ein Vorzeige-Secondo. Aber Wahlen? Nein danke.

Wählen wie die Anderen

Politologe Adrian Vatter fasst zusammen: «In Spreitenbach ist die Wahlbeteiligung derart tief, weil es hier überdurchschnittlich viele mit Migrationshintergrund, überdurchschnittlich viele Leute mit einem tiefen Bildungsniveau und überdurchschnittlich viele Junge hat.»

Würden diese aber wählen, hätte dies – so Vatter – keinen grossen Einfluss auf das Gesamt-Resultat. «Die Untersuchungen über Nichtwähler zeigen, dass Nichtwähler im Grossen und Ganzen wählen würden wie die Wähler.» Grundsätzlich würde es nicht zu einer Erschütterung der Parteienlandschaft kommen, so der Politologe.

Meistgelesene Artikel