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Bundesgerichtsbeschluss Wie wenige Mieter die Pensionskasse aller aufbessern sollen

«Für alle statt für wenige» ist der Slogan der SP Schweiz. Das Bundesgericht hat sich diesen in abgewandelter Form angeeignet und sagt: von wenigen für alle. Gemeint ist: Wenige Mieterinnen und Mieter sollen die Pensionskasse aller aufbessern.

Das Bundesgericht entschied, dass Pensionskassen – und damit alle Vermieter – künftig deutlich mehr Gewinn aus einer Mietwohnung ziehen dürfen. Für eine Beispielwohnung, die heute 1360 Franken kostet, könnten neu über 2000 Franken verlangt werden. So einschneidend ist der Gerichtsentscheid. Betroffen davon sind alle Mietwohnungen – bestehende und Neubau -, die an einen neuen Mieter gehen. Es geht potenziell um hunderte Millionen Franken.

Bundesgericht will Pensionskassen helfen

Das Gericht begründet mit drei Punkten:

  1. Wegen des tiefen Zinsumfeldes können vermietende Personen nicht mehr genügend Rendite aus Mietwohnungen holen.
  2. Das ist besonders schlimm für Pensionskassen, die für die Renten einen hinreichenden Gewinn aus Mieten erwirtschaften müssen.
  3. Das sei auch der Wille der Politik, urteilt das Gericht, und verweist auf einen Vorstoss von Nationalrat Olivier Feller (FDP).

Der erste Grund ist nachvollziehbar: Mietrenditen sind in der Schweiz politisch «gedeckelt» – sie dürfen nicht zu hoch sein, sonst sind sie «missbräuchlich». Das Bundesgericht legt die Renditelimite fest hat diese nun aufgrund des Zinsumfeldes erhöht. Pech für Mieter, gut für Immobilieninvestoren.

10 Prozent der Mieterinnen und Mieter müssen für alle bezahlen

Die zweite und dritte Begründung hingegen irritieren: Natürlich sollen Pensionskassen mit ihren Investments gutes Geld verdienen und ihre jetzige Lage ist nicht einfach: Pensionskassen müssen schon heute Geld der Jungen zu den Rentnern verschieben, um die Rentenansprüche zu bedienen.

Aber das Bundesgericht kann ausschliesslich jene zur Kasse bitten, die zufälligerweise in der Wohnung einer Pensionskasse leben. Zur Verdeutlichung: Das sind nur etwa 10 Prozent aller Mietenden in der Schweiz. Diese 10 Prozent müssen mehr Miete bezahlen, um die PK-Rente aller zu stützen (auch von Hauseigentümern), so die Logik des Gerichts. Von wenigen für alle. Gerecht scheint das nicht.

Bundesgericht greift in Politik ein

Dass die Erhöhung der Rendite aus Mietwohnungen der Wille der Politik sei, ist eine Spekulation des Bundesgerichtes. Der entsprechende parlamentarische Vorstoss von Nationalrat Olivier Feller ist erst vom Nationalrat gutgeheissen worden – die ständerätliche Kommission empfiehlt ihn zur Ablehnung. Das Gericht räumt also einem nicht abgeschlossenen, parlamentarischen Prozess eine sogenannte «Vorwirkung» ein. Damit widerspricht es der eigenen Rechtsprechung. Bisher lehnte es nämlich eine so frühe Vorwirkung in mehreren Urteilen ab.

Pointe zum Schluss: Nationalrat Feller überlegte sich, seinen Vorstoss nach Bekanntwerden des Urteils zurückziehen. Das hat er gegenüber SRF bestätigt. Denn das Gericht hatte seine Forderung erfüllt, bevor sich das Parlament abschliessend dazu äusserte.

So wenig braucht es, um so viel Geld umzuverteilen.

Michael Perricone

Chef vom Dienst, SRF Newsroom

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Michael Perricone ist Chef vom Dienst in SRF Newsroom und gibt am Medienausbildungszentrum MAZ einen Kurs für Journalistinnen und Journalisten zum Umgang mit PR. Er hat 2011 als Leiter Ressort Politik bei der «Blick»-Gruppe gearbeitet.

SRF News, 20.11.20, 12:30 Uhr

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