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Corona an Schulen Epidemiologin: Schulen haben noch nicht alle Mittel ausgeschöpft

Für Susi Kriemler, Epidemiologin und Kinderärztin, ist eine schweizweite Schulschliessung zur Eindämmung der Corona-Pandemie kein Thema. Zuerst müssten andere Möglichkeiten in der Schule ausgeschöpft werden – welche das sein könnten, erklärt sie im Interview.

Susi Kriemler

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Prof. Dr. med. Susi Kriemler ist Kinderärztin und Epidemiologin. Sie forscht an der Universität Zürich, u.a. an der «Ciao Corona-Studie», welche sich mit Ansteckungsmustern an Schulen befasst.

SRF News: Frau Kriemler, warum sind Schulen nun mehr vom Virus betroffen als in den letzten Monaten?

Susi Kriemler: Ob das wirklich der Fall ist, ist nicht klar. Ich glaube, dass mehr über Schulschliessungen berichtet wird. Ausserdem glaube ich, dass die Fallzahlen in der ganzen Schweiz zunehmen, auch in den Schulen. Das liegt an der neuen Mutationsvariante, die einfach sehr viel infektiöser ist – gegenüber der ganzen Bevölkerung. Deshalb mag es so scheinen, als ob sich in den Schulen mehr Ansteckungen ereignen, obwohl die Lage nicht beunruhigend ist.

Es gibt keine Evidenz dafür, dass in der Schule besonders viele Übertragungen stattfinden.

Lange dachte man, Kinder seien nicht Treiber der Pandemie. Hat sich das jetzt geändert?

Nein, das hat sich nicht geändert. Wenn die Infektiosität des Virus steigt, sind alle mehr betroffen, auch Kinder. Aber es gibt keine Evidenz dafür, dass in der Schule besonders viele Übertragungen stattfinden. Wir gehen Mitte März bis Mitte April wieder in die Schulen und sehen uns an, ob Kinder anders übertragen als bisher. Da wir die letzte Untersuchung Mitte November bis Anfang Dezember gemacht haben, haben wir nun ein perfektes Fenster, um zu sehen, was sich in dieser Zeit verändert hat.

Müssen die Schulen nun mit der Mutation andere Schutzvorkehrungen treffen?

Die Schulen haben es bisher sehr gut gemacht. Unsere Studie zeigt, dass wir keine Anhäufung von Ansteckungen in den Klassen und Schulen haben. Das bedeutet, dass die bisherigen Massnahmen wirklich verhindert haben, dass wir grosse Ausbrüche in den Schulen haben. Auch beim mutierten Virus sprechen wir nur von Einzelfällen, die man in Relation setzen muss. Wenn in der Schweiz zehn von 2000 Schulen betroffen sind, dann sind das 0.5 Prozent – ein ganz kleiner Prozentsatz. Dennoch verändert sich die Situation. Wir wissen nicht, was das neue Virus mit den Schulen macht. Deshalb muss man sich jetzt überlegen, ob das Vorgehen angepasst werden muss.

Wir haben ganz viel Spielraum, Schule so zu gestalten, dass auch das neue Virus gebremst wird.

Denken Sie da auch an Schulschliessungen?

Wir haben ganz viel Spielraum, Schule so zu gestalten, dass auch das neue Virus gebremst wird. Wir können zum Beispiel die Klassen verkleinern, beisammen halten, die Schüler gestaffelt anreisen lassen oder Pausenplätze nur klassenweise nutzen. Schulschliessung wäre die ultimative Lösung, wovon wir aber weit entfernt sind. Wir müssen zuerst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen, bevor wir die Schulen schliessen und die Schüler in eine Situation bringen, die sie psychisch und physisch belastet.

Einzelne Schulschliessungen machen dann Sinn, wenn sie das Virus im Anfang ersticken, bevor man das ganze Schulsystem schliessen muss.

Wäre eine Schulschliessung nicht gerade für ältere Schüler eine geeignete Massnahme?

Die älteren Kinder sind sehr viel versierter im Umgang mit Technik. Sie können sich selbst mehr erarbeiten. Aber auch dort: Sehr viele Jugendliche leiden unter der sozialen Isolation. Sie müssen den ganzen Tag herumsitzen und können sich nicht mit denjenigen treffen, die ihnen wirklich wertvoll sind im Leben. Das muss immer mit in die Waagschale geworfen werden. Einzelne Schulschliessungen machen dann Sinn, wenn sie das Virus im Anfang ersticken, bevor man das ganze Schulsystem schliessen muss.

Das Interview führte Beni Minder.

10vor10, 01.02.2021, 21:50 Uhr ; 

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