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Corona-Krise in der Politik So schlagen sich die Schweizer Parteien

Seit der Bundesrat am 6. März die Ausserordentliche Lage erklärt hat, stehen die Parteien weitgehend hinter der Regierung. Kritik gibt es höchstens vereinzelt. Das könne sich schnell ändern, meint Politikwissenschaftler Michael Hermann. Bis sich die Schweizer Politik wieder um Themen abseits der Corona-Krise kümmert, werde es jedoch noch lange dauern.

Michael Hermann

Politologe, Forschungsinstitut Sotomo

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Michael Hermann ist Geograf und Politikwissenschaftler. Er ist Leiter des Forschungsinstituts Sotomo, das die Umfrage zum SRF-Wahlbarometer durchgeführt hat.

SRF News: Der Bundesrat scheint für die Parteien unbestritten wie seit Jahrzehnten nicht.

Michael Hermann: Einerseits sehen wir in dieser Krise ein Zusammenstehen, das sich sich ja auch in der Bevölkerung zeigt. Andererseits ist auch noch nicht klar, wo die Konfliktlinien verlaufen. Viel eher als zwischen den Parteien zeigen sich bereits jetzt Differenzen zwischen den Landesteilen. Ein Spannungsfeld zwischen Links und Rechts oder progressiv und konservativ gibt es jedoch bisher nicht.

Das heisst, sich zu positionieren, wie es die SVP mit der Forderung nach schnellen Lockerungen mittlerweile ein wenig getan hat, ist politisch auch riskant?

Das würde ich sagen. Zumal ich nach unserer Befragung vom März auch davon ausgehe, dass die weitgehenden Massnahmen gerade unter den Wählern der Polparteien grossen Rückhalt geniessen. Eine Lockerung ist noch nicht sehr populär. Der Vorstoss kann als unnötige Politisierung des Themas verstanden werden.

Lässt sich so auch erklären, warum die Linke nicht bereits zum jetzigen Zeitpunkt die sozialen Probleme durch die Isolation stärker thematisiert?

Es ist aus linker Sicht schwierig, sich gegen die Rücksicht auf Gesundheitspersonal und Risikogruppen zu positionieren. Die möglichen Positionen sind aktuell jene der Humanität auf der einen Seite und jene einer sozialdarvinistischen Idee einer Herdenimmunisierung auf der anderen. Eine Lockerung zu fordern, um den sozialen Problemen zu begegnen, ist für die Linke derzeit kaum ein gangbarer Weg.

Wie lange wird es dauern, bis der Bundesrat wieder mehr Gegenwind bekommt?

Das hängt stark vom Verlauf der Krise ab. Je gravierender sie ist, desto eher wird sich die Politik weiter im Hintergrund halten. Die politische Debatte wird einsetzen, sobald sich eine Entspannung abzeichnet.

Sobald eine Politisierung stattfindet, werden überparteiliche Lösungen zum Wohl der Allgemeinheit schwieriger. Auch den Menschen solche «Opfer» abzuverlangen ist dann nicht mehr so einfach.

Sobald es um mittelfristige Weichenstellungen und den Umgang mit den Folgen geht, werden sich Politiker und Parteien positionieren. Dann geht es nicht mehr in erster Linie um rasches und zielgerichtetes Handeln, sondern um weitsichtige, vernünftiges und ausbalancierte Entscheide. Da ist es wieder an der Politik, mitzugestalten. Diese Debatte wird auch wieder ideologischer geführt werden.

Hat die SVP mit iher Lockerungsforderung diese Repolitisierung nicht bereits lanciert?

Zumindest setzt sie die anderen Parteien unter Druck. Magdalena Martullo-Blochers Gesichtsmaske im Nationalrat oder Thomas Aeschis frühe Forderung nach einem Sessions-Abbruch haben gezeigt: Positionierungen führen auch in der aktuellen Situation dazu, dass der politische Gegner eine Gegenposition einnimmt. Das ist ein bisschen ein Domino-Effekt.

Ab welchem Zeitpunkt wird sich die Politik wieder mit anderen Themen beschäftigen?

Ich gehe davon aus, dass dies Schritt für Schritt geschehen wird. Aber auch wenn die sich die Lage entspannt, werden für sehr lange Zeit Themen im Zusammenhang mit der Corona-Krise dominieren. Der Umgang mit wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die Konsequenzen für die Schulen, Datenschutz und viele mehr. Bis es eine politische Debatte unabhängig von der Krise gibt, kann es gut noch ein Jahr dauern.

Das Gespräch führte Bálint Kalotay.

Tagesschau, 26.03.2020 ; 

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