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Corona und die Grundrechte «Auf dem Bundesrat lastet eine gewaltige Verantwortung»

Restaurants, Kinos, Coiffeursalons sind geschlossen, Versammlungen von mehr als fünf Personen verboten: Der Bundesrat hat in der Corona-Krise massive Eingriffe in die Grundrechte vorgenommen und die Freiheitsrechte der Bürger und der Wirtschaft eingeschränkt – wegen eines anderen Grundrechts, des Rechts auf Gesundheit. Staatsrechtlerin Eva Maria Belser erklärt, ob uns die Staatsmacht überhaupt derart einschränken darf.

Eva Maria Belser

Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht, Uni Freiburg

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Belser (geb. 1970 in Luzern) ist Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg und ist Co-Direktorin des Instituts für Föderalismus. Sie hat auch Einsitz in der Covid-Taskforce des Bundes.

SRF News: Für Sie ist die Lage in jeder Hinsicht ausserordentlich. Warum?

Eva Maria Belser: Etwas Vergleichbares gab es letztmals während des 2. Weltkriegs. Damals waren die Massnahmen aber nicht durch die Verfassung abgestützt. Die Einschränkungen waren aber auch nicht so umfassend wie heute. Dass die Freiheitsrechte so allgemein betroffen sind wie jetzt, halte ich für historisch ziemlich einmalig.

Die persönlichen Freiheitsrechte werden eingeschränkt, weil der Bundesrat sagt, dass wir uns vor dieser Epidemie schützen müssen. Lässt sich das Dilemma auflösen, wenn Grundrechte miteinander in Konflikt geraten?

Das ist ein häufiges Dilemma. Nur begegnen wir ihm normalerweise nicht in dieser Grössenordnung. Die Grundrechte haben verschiedene Dimensionen. Der Staat muss diese achten, er darf sie nicht verletzen. Er darf in die Rechte und Freiheiten der Einzelnen nicht eingreifen, wenn die üblichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind: Es braucht ein Gesetz, überwiegende öffentliche Interessen, Verhältnismässigkeit.

Die Einschränkungen müssen, sobald das möglich ist, zurückgefahren oder aufgehoben werden.

Der Staat muss die Rechte und Freiheiten auch aktiv schützen. Das tut er im Augenblick. Er ergreift einschneidende Massnahmen, um das Recht auf Leben und Gesundheit zu schützen. Der Bundesrat handelt also auch mit diesen Massnahmen im grundrechtlichen Interesse. Die Waage sieht aber schon besonders aus im Moment: In der einen Waagschale haben wir alle möglichen Freiheitsrechte und in der anderen das Recht auf Gesundheit.

Der Staat muss hier abwägen und gewichten. Staatliches Handeln muss verhältnismässig sein – auch in einer ausserordentlichen Lage.

Ja, weder Bundesverfassung noch Völkerrecht sind ausser Kraft gesetzt. Die Grund- und Menschenrechte gelten selbstverständlich weiter. Auch das Verhältnismässigkeitsprinzip als fundamentales Prinzip des Rechtsstaats. Das heisst, der Bundesrat darf nur Einschränkungen vorsehen, die zeitlich und sachlich geboten sind. Diese müssen, sobald das möglich ist, zurückgefahren oder aufgehoben werden. Sie dürfen auch sachlich nicht über das hinausgehen, was zur Überwindung der Notlage erforderlich ist, namentlich zum Schutz von Menschenleben.

Die Schliessung von Restaurants, Coiffeursalons, Geschäften, Kinos ist ein massiver Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit. Ist das unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit gerechtfertigt?

Das ist im Moment schwierig zu beurteilen. Die Zustände in Spanien, Italien und anderen Ländern sind erschreckend. Unter diesen Umständen ist es nicht zu bemängeln, dass der Bundesrat die ausserordentliche Lage ausgerufen hat. Ob jede einzelne der Massnahmen gerechtfertigt ist, ist schwer zu sagen. Auch, weil sich die Dinge so rasant entwickeln.

Es ist aussergewöhnlich, dass diese einschneidenden Entscheide nun auf den Schultern des Bundesrates allein liegen.

Man muss dem Bundesrat zugutehalten, dass er schnell und besonnen reagiert hat. Und er hat versucht, die wirtschaftlichen Folgen seiner Entscheide abzumildern. Es ist aussergewöhnlich, dass diese einschneidenden Entscheide nun auf den Schultern des Bundesrates allein liegen. Auf der Exekutive lastet eine gewaltige Verantwortung.

Das Gespräch führte Klaus Bonanomi.

SRF 4 News vom 06.02.2020, 6:45 Uhr ; 

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