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Der «Puffer» bröckelt Der Bund zapft die Pflichtlager für Impfstoffe an

Die meisten Kinder werden gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft – doch die Präparate sind knapp. Wie viele andere.

Impfstoffe sind immer mal wieder knapp. Für Ueli Haudenschild vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) ist das Alltag. Nach seinen Angaben gibt es derzeit bei elf Impfstoffen einen Lieferengpass. Wenn ein Impfstoff von gar keinem Pharma-Unternehmen mehr geliefert werden kann, kann der Bund das Pflichtlager freigeben.

Momentan beziehen Ärzte zwei Impfungen aus dem Pflichtlager: Nebst Präparaten gegen Masern, Mumps und Röteln als Kombi-Spritze ist ein Impfstoff gegen Hirnhautentzündung bei Kleinkindern ebenfalls nur ab Pflichtlager erhältlich.

Ständerat Caroni lässt sich gegen Grippe im Impfen am Impftag des Parlaments.
Legende: «Das Lager liegt beim Lieferanten und gehört ihm. Aber er darf es nicht ohne Einwilligung des Bundes benutzen», erklärt Haudenschild. Keystone

Es braucht so viel Impfstoff auf Reserve, dass der durchschnittliche Verbrauch von vier Monaten gedeckt wäre. Doch der Durchschnittswert auf dem Papier ist das eine. Die Praxis das andere. Bei Impfstoffen gegen Grippe oder Zecken-Infektion zum Beispiel schwankt die Nachfrage stark.

Die produzierten Mengen können aber nur schwer angepasst werden, weil die Impfstoffproduktionen komplex sind. Anita Geiger von Interpharma, dem Verband der forschenden Pharma-Unternehmen, sagt: «Bei Impfstoffen gibt es weltweit nur wenige Anbieter und Produktionsstätten.»

Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln
Legende: Der Grossteil der Impfstoffe wird von wenigen internationalen Pharma-Konzernen hergestellt, oftmals in China und Indien. Grund dafür ist, dass das Geschäft mit Impfstoffen nicht sehr lukrativ ist. Reuters

Um die Impfstoffe bemüht sich aber nicht nur die Schweiz, sondern auch andere Länder. Knappe Impfstoffe sind darum ein Problem, mit dem viele Länder kämpfen. Und der Engpass verschärft sich, wenn eine Lieferung einmal fehlerhaft ist.

Um wenigstens einen Notvorrat zu haben, hat der Bund vor drei Jahren Pflichtlager auch für Impfstoffe eingeführt. Die Ärzte sind froh darum. Für Carlos Quinto, Hausarzt und Vorstandsmitglied in der Ärzteverbindung FMH, sind die Pflichtlager ein Frühwarnsystem: «Wenn ein Stoff aus dem Pflichtlager kommt, weiss ich, dass ein relevanter Mangel da ist.»

Manchmal muss ich Leuten von einer Reise in bestimmte Länder abraten, weil ich keinen Impfschutz bieten kann.
Autor: Carlos Quinto Hausarzt und Vorstand der Ärzteschaft

Ärzte können dann Impfungen, die hinausgeschoben werden können, verschieben. So zum Beispiel Zecken-Impfungen: Die drei Spritzen können zu unterschiedlichen Zeitpunkten gesetzt werden, was die Impfzeitpunkte flexibel macht. Oder Ärzte impfen Wirkstoffe, die in einer Dosis enthalten sind - wie etwa «Masern Mumps Röteln» - nicht mit einer Spritze, sondern einzeln.

Oder aber sie müssen Patienten ganz vertrösten, erklärt Hausarzt Quinto: «Manchmal muss ich Leuten von einer Reise in bestimmte Länder abraten, weil ich keinen Impfschutz bieten kann.» Tollwut-Impfungen waren im letzten Winter beispielsweise während einer kurzen Zeit gar nicht verfügbar. Das Pflichtlager war leer.

Versorgungssicherheit kostet

Dass Ärzte die Patienten dank den Listen beim Bund frühzeitig über knapp werdende Stoffe informieren konnten, habe zwar geholfen: «Für mich ist aber entscheidend, ob der Stoff lieferbar ist», sagt Quinto. Er bringt als FMH-Vertreter zwei Ideen auf den Tisch: Einkaufs-Allianzen zu gründen, wie sie andere Länder in der EU bereits kennen. Die Schweiz ist dort aber nicht dabei. Oder bei der einfacheren Zulassung für Produkte ansetzen.

Beides würde dazu führen, dass mehr Impfstoffe in die Schweiz gelangten, sagen Befürworter solcher Vorschläge. Denn die Schweiz als kleiner Markt sei für die internationalen Grosskonzerne nicht interessant. Grössere Mengen wären aber mit Risiken verbunden: Impfstoffe haben ein Verfallsdatum.

Und so gibt es bei der Diskussion über die Pflichtlager den gemeinsamen Nenner, dass diese zwar als Puffer wirken. Allerdings muss in dieser Diskussion die Frage beantwortet werden, wie viel Versorgungssicherheit sich die Schweiz leisten will.

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