Zum Inhalt springen

Die Situation in der Schweiz Taskforce-Chef Martin Ackermann: «Massnahmen reichen nicht aus»

Es gebe erste Anzeichen, dass die Zahlen abflachen, sagte Stefan Kuster, Leiter Übertragbare Krankheiten im Bundesamt für Gesundheit (BAG), in Bern. Es sei aber zu früh zu urteilen, ob die schweizweiten Massnahmen, die der Bundesrat am 28. Oktober traf, tatsächlich greifen.

Die Fallzahlen und die Zahl der Hospitalisierungen seien steigend, man habe aber den Eindruck, dass sie abflachten und sich stabilisierten. «Mit diesen hohen Zahlen müssen wir aber weiter mit einer Überlastung des Gesundheitswesens rechnen.»

Bevölkerung ist noch zu mobil

Auch gemäss Martin Ackermann, Präsident der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce des Bundes, gibt es «keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus ausreichen». Die Mobilität der Menschen sei immer noch zu hoch. «29 Prozent der Bevölkerung pendeln immer noch», sagte Ackermann.

Laut Thomas Steffen, Vorstandsmitglied der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte, verhält sich die Bevölkerung zwar wieder hygienebewusster. Der Bewusstseinsstand vom Frühling sei aber noch nicht erreicht. Die Kontakte müssten noch stärker reduziert werden. Halte sich jemand am Arbeitsplatz ans Schutzkonzept und gehe dann unter Missachtung der Regeln mit den Kollegen essen, sei das wenig zielführend.

Den Schweizerinnen und Schweizer muss bewusst werden, was auf dem Spiel steht.
Autor: Martin Ackermann Präsident Covid-19-Task-Force

Die Taskforce plädiert für mehr Homeoffice und dafür, die Testkapazitäten und das Contact Tracing weiter auszubauen.

Kontaktverfolgung wird schrittweise ausgebaut

Box aufklappen Box zuklappen

Die Kontaktverfolgung (Contact Tracing) hat die Kantone wegen des starken Anstiegs in der zweiten Welle überrumpelt. Der Anstieg der Fallzahlen sei bis zu 30 Mal so stark ausgefallen, wie erwartet, sagte Thomas Steffen, Kantonsarzt von Basel-Stadt und Vorstandsmitglied der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte. Das Contact Tracing sei deshalb in den Kantonen etwas ins Hintertreffen geraten. Jetzt müssten die Kantone das wieder besser in die Gänge bringen und die entsprechenden Stellen massiv ausbauen.

Bei der Lage auf den Intensivstationen hätten die Kantone schnell reagiert. Die Patientenverlegung sei angelaufen und das System dafür habe sich bewährt.

Neben den Massnahmen müsse auch die Kommunikation der Behörden mit der Bevölkerung eindringlicher werden. Zwar gebe es erste Hinweise, dass die Bevölkerung die strengeren Massnahmen befolge. Aber: «Den Schweizerinnen und Schweizern muss bewusst werden, was auf dem Spiel steht.» Wenn nicht mehr getan werde, sei das Risiko gross, dass nicht jede Patientin, jeder Patient behandelt werden könne. Setzt sich die aktuelle Entwicklung fort, wird laut Ackermann am 10. November die maximale Kapazität der zertifizierten Intensivbetten erreicht sein.

Entscheidend sei die Reproduktionszahl, sagte Ackermann. Diese liege weiterhin über 1. Das heisst: Jeder Infizierte steckt mehr als eine weitere Person an. «In den Griff bekommen wir das Virus erst, wenn der Wert deutlich und längere Zeit unter 1 bleibt.»

Schweiz steht im Vergleich schlecht da

Box aufklappen Box zuklappen

Laut Stefan Kuster lag die Positivitätsrate über die vergangenen zwei Wochen bei 26.7 Prozent. Die R-Zahl lag per 26. Oktober bei 1.1. Die 14-Tage-Indizenz beträgt 1192 pro 100'000 Personen, in Deutschland 247, in Italien 564, in Frankreich 874 und in Belgien 1478.

Ackermann erwähnte auch, dass Länder mit strengeren Massnahmen als die Schweiz wirtschaftlich nicht unbedingt schlechter dastünden. Das zeigten Schweden und Dänemark.

«Armee kann Epidemie nicht stoppen»

Anne Lévy, Direktorin des Bundesamts für Gesundheit (BAG), gab bekannt, dass in dieser zweiten Welle die Armee erstmals im Kanton Genf zum Einsatz kommen wird. «In Genf ist die Zahl der Intensiv-Betten knapp und das Personal ist am Limit», sagte Lévy. Aber es sei klar: «Die Armee kann die Epidemie nicht stoppen.» Die Anträge der anderen Kantone, die ebenfalls die Unterstützung der Armee anforderten, seien nochmals zurück an die Kantone geschickt worden.

Erst wenn alle Mittel ausgeschöpft sind, kann der Assistenzdienst der Armee angefordert werden.
Autor: Anne Lévy Direktorin Bundesamt für Gesundheit

Die Kantone könnten den Zivilschutz oder Zivildienst anfordern, Personal rekrutieren, Arbeitslose oder Studierende der Medizin einbinden und Verlegungen in andere Kantone vornehmen. Bisher habe es neun Verlegungen innerhalb von Kantonen gegeben. «Erst wenn all diese Mittel ausgeschöpft sind, kann der Assistenzdienst der Armee angefordert werden», sagte Lévy.

Täglich 20 Millionen für Kurzarbeitsentschädigungen

Box aufklappen Box zuklappen

Insgesamt habe man wegen der Corona-Pandemie bisher 8.3 Milliarden Franken für Kurzarbeitsentschädigungen ausgegeben, sagte Oliver Schärli, Leiter des Bereichs Arbeitsmarkt/Arbeitslosenversicherung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco).

Momentan beliefen sich die Kurzarbeitsentschädigungen auf rund 20 Millionen Franken pro Tag. Im Frühling, während der ersten Welle der Pandemie, seien es über 100 Millionen Franken täglich gewesen. Im November habe man jedoch eine leichte Zunahme der Voranmeldungen registriert.

Im Pandemie-Jahr seien bisher 50'000 Stellensuchende mehr verzeichnet worden, sagte Schärli weiter. Da mehr Stellensuchende registriert wurden, sei bei den regionalen Arbeitsvermittlungen (RAV) 10 Prozent mehr Personal angestellt worden. Der Arbeitsmarkt habe immer funktioniert, ausser während einer Delle im April während des Lockdowns, sagte Schärli.

SRF 4 News, 6.11.2020, 12.30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel