Sie hatte schamlos simuliert, und die Ärzte haben ihr geglaubt. Mirjana C. stürzte mit ihrem Velo und behauptete danach, unter einem Schleudertrauma zu leiden. Die Frau ging nicht mehr zur Arbeit und kassierte Geld von der Invalidenversicherung (IV).
In einem Protokoll notierten die Ärzte über Frau C.: Die Einkäufe würden vom Vater erledigt, während die Tochter den Haushalt verrichte. Ihre ganze Welt seien das Bett, ein feuchtes Tuch über dem Kopf und die Medikamente.
Doch bald darauf werden die Versicherer misstrauisch und lassen Frau C. heimlich per Video überwachen. Und tatsächlich: Die Bilder, die der «Rundschau» vorliegen, zeigen Frau C. mit drei vollgepackten Taschen.
Sie steigt in einen Reisebus ein, der in ihre serbische Heimat fährt. Die Detektive folgen ihrer Spur. Dort verrichtet Frau C. schwere Gartenarbeit, auf dem Balkon steigt sie auf einen Stuhl und schmückt ihren Weihnachtsbaum.
Verurteilung ohne Bewährung
Für die Versicherer reicht das als Beweis, dass Frau C. simuliert. Das Kriminalgericht in Luzern verurteilt sie zu vier Jahren Gefängnis – ohne Bewährung. Das Geld, das Frau C. kassiert hat, muss die Versicherung abschreiben.
Der Luzerner IV-Stellen-Leiter Donald Locher sagt gegenüber der «Rundschau»: «Wenn jemand über ein so grosses schauspielerisches Talent verfügt wie Frau C., dann braucht es Zeit, um den Betrug nachzuweisen.»
Videoüberwachungen im Auftrag von Versicherungen sind erst seit acht Jahren erlaubt. Seitdem nehmen sie stetig zu. Ende 2009 gab es 60 Observationen, in den Jahren darauf 190, 230 und 370. Die damit verbundenen Einsparungen stiegen von 12 auf 24 Millionen Franken.
Video-Beweis allein genügt nicht
Doch die Überwachungs-Euphorie der Versicherer fordert auch ihre mutmasslichen Opfer. Igor B. leidet ebenfalls unter einem Schleudertrauma. Die IV hat zunächst gezahlt, strich aber später die Leistungen. Grund: Auf einem Detektiv-Video hievt der angeblich kranke Mann eine Tischplatte in einen Kofferraum.
«Ich bin wirklich krank», sagt Igor B. gegenüber der «Rundschau». «Die Tischplatte war leicht, ausserdem hatte ich später davon Schmerzen.» Igor B. hat sich einen Anwalt geholt und kämpft seitdem für seine IV-Rente.
Vor dem Bundesgericht landete er einen ersten Erfolg. Eine Video-Überwachung alleine reiche nicht aus, um die IV-Gelder zu streichen, heisst es da. Es müssten weitere ärztliche Abklärungen erfolgen, um sicher zu sein, dass der Betroffene simuliert.
An der «Rundschau»-Theke verteidigte Donald Locher die Praxis. Nur bei dringendem Verdacht würden solche Abklärungen durchgeführt. Bis es allerdings soweit komme, würden zuerst die Akten des Versicherten eingehend geprüft. Die Missbrauchsquote liege zwar bei rund einem Prozent, dennoch sei die IV verpflichtet diese Fälle aufzudecken.