Zum Inhalt springen

Dschihadismus in der Schweiz «Die Schweiz als Exportland von Terror»

Nicht nur in Frankreich und Grossbritannien, auch hierzulande schwelt der Dschihadismus. Laut Experte Kurt Pelda haben die damit verbundenen Risiken zwar zugenommen. Aber die Schweiz ist auch besser vorbereitet.

Kurt Pelda ist wahrscheinlich der Schweizer Journalist, der sich am besten auskennt mit dem Thema Dschihadisten in der Schweiz. Der Reporter, der in den letzten Jahren regelmässig aus Syrien berichtet hat, arbeitetet mittlerweile für den «Tages-Anzeiger». SRF hat mit ihm gesprochen.

SRF: Sie haben auch 2017 viel recherchiert über Dschihadisten in der Schweiz – welcher Fall wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?

Kurt Pelda: Ich glaube, das ist der Fall des Imams in der Winterthurer An'Nur-Moschee, der vor Kurzem verurteilt wurde. Er hat zu Gewalt gegen Muslime aufgerufen. Die An'Nur-Moschee war klar ein Zentrum der salafistischen Szene der Region, aber auch ein Treffpunkt für rund ein Dutzend spätere IS-Dschihadisten.

Darum war dieser Fall im Fokus des Interesses, lange Zeit auch der Polizei, vielleicht auch des Nachrichtendienstes. Mittlerweile hat sich der Fokus ein bisschen mehr in die Westschweiz verlegt, vor allem nach Genf und Lausanne.

Auch diese Jahr gab es wieder viele dschihadistische Einzelfälle. Lassen sich aus ihnen gewisse Tendenzen herauslesen?

Auf jeden Fall. Die salafistische Szene – nicht zu verwechseln mit Terroristen oder Dschihadisten – ist sehr heterogen: Ein Teil davon unterstützt Terrorbewegungen, hat teilweise Sympathien für Anschläge, fühlt sich unterdrückt, diskriminiert. Dieser Teil der Szene wächst bei uns. Das sieht man auch an den Zahlen des Nachrichtendienstes. Vor wenigen Monaten wurden noch 90 sogenannte Risikopersonen gemeldet. Jetzt sind es schon hundert. Also innerhalb von wenigen Monaten ein Wachstum von rund 11 Prozent.

Vor wenigen Monaten wurden noch 90 Risikopersonen gemeldet. Jetzt sind es hundert.
Autor: Kurt Pelda Journalist und Dschihadismus-Experte

Wie erklären Sie sich dieses Wachstum?

Früher konnten die Leute einfach nach Syrien zum Islamischen Staat oder zu Al-Kaida. Dieser Weg ist jetzt versperrt. Und die Leute, die mit solchen Organisationen sympathisieren, sind entsprechend frustriert. Sie sind auch frustriert, weil der IS eine militärische Niederlage kassiert hat. Und der IS hat die Leute in Europa auch aufgerufen, nicht mehr nach Syrien zu kommen, sondern Anschläge in Europa, in den Heimatländern zu machen. Das hat auch seine Auswirkungen gehabt auf die Schweiz und auf die Szene hier.

Welche Rolle spielt die Schweiz für die Dschihadisten? Ist sie Rückzugsort? Finanzierungsort? Transitort?

Ich würde sagen alle drei. Plus: Lange Zeit waren wir ein Exportland von Terrorismus. Wir sprechen immer davon, dass es in der Schweiz keine Terroranschläge gegeben hat. Das ist richtig. Aber aus der Schweiz sind über 80 Personen zum IS oder zu Al-Kaida nach Syrien gegangen. Und die haben dort Terroranschläge verübt oder Massaker verrichtet. Wir sollten uns auch als ein Exportland von Terror sehen.

Es gibt mehr Gefährder in der Schweiz, die Spannungen steigen auf der Welt. Sind wir heute in der Schweiz denn gefährdeter als vor einem Jahr?

Wenn man nur die Bedrohung nimmt, auf jeden Fall. Die Gefährdung hat zugenommen. Auf der anderen Seite haben die Behörden ihre Bemühungen verstärkt. Man ist heute besser aufgestellt als noch vor einem Jahr oder vor zwei Jahren. Die Behörden und die Politiker sind auch nicht mehr ganz so blauäugig, wie das vielleicht noch vor zwei Jahren der Fall war. Darum ist es schwierig zu sagen, ob sich diese beiden Entwicklungen die Balance halten – oder ob es ganz klar so ist, dass wir heute insgesamt gefährdeter sind.

Die Behörden sind nicht mehr ganz so blauäugig, wie vielleicht noch vor zwei Jahren.
Autor: Kurt Pelda Journalist und Dschihadismus-Experte

Eine Schwierigkeit der Behörden ist es, an Informationen heranzukommen. Die Polizei, der Geheimdienst, so scheint es, haben ziemlich Mühe, in die Szene hineinzuschauen. Täuscht dieser Eindruck?

Ich glaube, dieser Eindruck täuscht. Mittlerweile ist der Nachrichtendienst aber auch die Bundespolizei ziemlich gut informiert, was in der Szene so läuft. Das Problem liegt mehr beim Föderalismus. Dass die eine Behörde nicht weiss, was die andere tut. Dass Informationen zu wenig ausgetauscht werden. Dass der Datenschutz zwischen den Behörden spielt. So dass man zum Beispiel im Fall des Bieler Imams Abu Ramadan nicht informiert war über den Entzug des Asylstatus.

Ich glaube, da gibt es noch einen gewissen Nachholbedarf. Aber man ist sicher heute sehr, sehr viel besser aufgestellt als noch vor zwei Jahren, als uns das Phänomen des Dschidhadismus völlig überfahren hat. Und man muss vielleicht auch hinzufügen: Vor zwei oder drei Jahren war es nicht Priorität der Behörden, Leute zu stoppen, die nach Syrien reisen wollten.

Meistgelesene Artikel