Zum Inhalt springen

Fehlendes Vertrauen Wenn der Hahn kräht und es niemand hören will

Es ist ungewöhnlich, wenn die EU eine Medienkonferenz zur Schweiz anberaumt, so wie heute geschehen in Brüssel. Das hat Seltenheitswert. Erstaunlich war, dass kaum jemand in Bundesbern von diesem Ereignis in Brüssel Kenntnis genommen hat.

Während sonst nach kleinsten Regungen aus der EU-Zentrale Kaskaden von Reaktionen per Mail und Twitter folgen, blieb es heute auffällig ruhig in der Schweiz. Einzig das Eidgenössische Finanzdepartement teilte knapp mit, man nehme die Verlängerung der Börsenäquivalenz um weitere sechs Monate «zur Kenntnis». Punkt.

Eine kleine Bombe

Und dies, obwohl EU-Kommissar Johannes Hahn eine kleine Bombe platzen liess. Ohne Rahmenabkommen würden künftig auch bestehende Abkommen nicht mehr aufdatiert. Dies ist eine Verschärfung der Position der EU.

Bis jetzt war die Ansage immer: Ohne Rahmenabkommen gibt es keine neuen Marktzugangsabkommen. Mehrmals wiederholte der Österreicher Hahn seine Aussage, es konnte also kein Versprecher gewesen sein.

Würde die EU also künftig keine Abkommen mehr erneuern, würde der bilaterale Weg langsam «ausgehöhlt» und zum «toten Recht». So formulierte es EU-Kommissar Hahn im Interview mit SRF.

Das Ende des bilateralen Wegs?

Angesprochen auf diese angedrohte Verschärfung, reagierten Schweizer Politiker, die sich mit dem EU-Dossier befassen, trotzig oder gar nicht. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sagte etwa, es brauche gar keine neuen Abkommen. FDP-Ständerat Damian Müller meinte, dies sei ja gar nichts Neues.

Wirklich nicht? Zwei unabhängige Beobachter bestätigten unabhängig voneinander: Doch, dies sei sehr wohl eine weitere Verschärfung der Position der EU. Sie könnte im Extremfall das Ende des bilateralen Weges bedeuten.

Dieses Beispiel zeigt, wie fremd sich die EU und die Schweiz inzwischen geworden sind. Man versteht sich nicht mehr, spricht in anderen Welten, trotz gleicher Sprache. War früher trotz Meinungsunterschieden ein grundsätzliches Wohlwollen gegenüber der Schweiz da, scheinen sich Brüssel und Bern heute nicht mehr über den Weg zu trauen. Gegenseitig.

Das bestätigen Personen in der Bundesverwaltung, die jahrelang in Brüssel und mit der EU verhandelt haben. Dieses Misstrauen kam heute beim Auftritt von EU-Kommissar Johannes Hahn zum Ausdruck. Man wolle der Schweiz gar nicht drohen, tat es aber dann doch mit der klaren Aussage, bestehende Abkommen nicht mehr aufzudatieren. Johannes Hahn bemängelte, dass sich sein «Freund Ignazio» nicht voll hinter das «final und gemeinsam» ausgehandelte Abkommen stelle und das Verhandlungsresultat anders darstelle.

EU und die Schweiz sind sich fremd geworden

Auf Schweizer Seite ist es nicht besser. Die Grundstimmung gegenüber Brüssel ist derzeit schlecht. Brüssel sei «arrogant», sagte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Bei ihrem Abschied vor den Medien sagte Bundesrätin Doris Leuthard: Unser Verhältnis mit Europa bleibe offen und schwierig. Dies werde 2019 zu vielen weiteren Komplikationen führen. Auch auf die Nachbarn könne man sich nicht mehr verlassen. Diese sagten zwar, man wolle helfen, machten dann aber doch nichts für die Schweiz, so Leuthard.

Ende 2018 sind die Chancen viel grösser, dass das während fast fünf Jahren mühsam ausgehandelte Rahmenabkommen scheitert und eine Eskalation zwischen der Schweiz und der EU droht. Wie konnte es soweit kommen?

Brüssel ist nach einer schweren internen Zerreissprobe und wegen des Brexit härter geworden gegenüber Drittstaaten. Das hat nun auch die Schweiz zu spüren bekommen.

In der Schweiz ist die Achtung vor der EU-28 (bald noch 27) wegen der Euro- und Finanzkrise und dem Brexit weiter gesunken. Obwohl immer noch viele in Bevölkerung und Politik den bilateralen Weg als den Königsweg erachten, fehlt bis jetzt die Einsicht und der politische Wille, einen Schritt zu tun: Mit einem Rahmenabkommen könnte die Schweiz ihren bilateralen Weg retten – ohne Abkommen ist er gefährdet. Dies machte die EU heute klar, wenn man genau hinhörte.

Das nächste halbe Jahr wird also entscheidend und klärend sein für das bilaterale Verhältnis Schweiz–EU.

Christoph Nufer

Leiter Bundeshausredaktion, SRF

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Christoph Nufer ist seit 2016 Leiter der Bundeshausredaktion des Schweizer Fernsehens SRF. Davor war er als EU-Korrespondent in Brüssel stationiert.

Meistgelesene Artikel